Eine Frage der Gene?
Liegt es in unserer Natur, dass wir gewinnen wollen? War der Kampf unserer Vorfahren um die beste Beute das erstes Gewinne-Verlierer-Konzept? Manche Wissenschaftler sind überzeugt, dass der Mensch die genetische Veranlagung in sich trägt, immer Erster sein zu wollen. Der Sozialpsychologe Professor Heiner Keupp glaubt nicht an den Siegeswillen als menschlichen Urtrieb. „Das bisherige Überleben der Menschheit ist eher auf das kooperative Handeln von Gemeinschaften zurückzuführen. Sieger kann es nur in Wettbewerbs- und Konkurrenzsituationen geben. Dem Siegeszug des Kapitalismus haben wir die Gewinner- und Verlierermentalität zu verdanken. Er schafft Gegner, ja auch Feinde," meint er. Manager oder Hartz 4-Empfänger? Model oder graue Maus? Sich dieser Gewinner-Verlierer-Waage zu entziehen ist inzwischen fast unmöglich geworden.
Wann Niederlagen besonders schmerzen
Die Enttäuschung darüber, dass nicht alles nach Plan läuft, kann niederschmetternd sein. Wer auf den Sieg hofft und dann als Letzter durchs Ziel läuft, wird nachvollziehbar deprimiert sein. Aber oft fühlt sich bereits ein zweiter Platz wie Verlieren an. Beispiel Fußball: die FC-Bayern-Niederlage im Champions League-Finale. „Die tiefe Enttäuschung entstand, weil die Bayern überlegen waren. Dass sie im letzten Augenblick so unvermittelt abstürzten, ließ die Mannschaft und alle Fans fassungslos zurück,“ meint Keupp. Solche Situationen wecken in uns das Gefühl der Ungerechtigkeit. „Wir können besser mit Niederlagen leben, wenn jemand gewinnt, der wirklich besser ist“.
Siegesfreude im Kollektiv
Ein Sieg der Fußballnationalmannschaft kann ein ganzes Volk euphorisch stimmen. Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft – egal ob Gemeinde, Firma oder Nationalelf – kann die Freude über einen Erfolg potenzieren. Studien der Universität Heidelberg zeigen, dass Siege bei einer Fußballmeisterschaft das kollektive Wir-Gefühl steigern. Diese Gemeinschaftsemotion beeinflusst manchmal sogar das Verhalten eines ganzes Landes: Die Menschen werden versöhnlicher. Sogar die Konsumfreude steigt nach einem gewonnen Meistertitel. Aber: "Problematisch wird dieses emotional aufgeladene Wir-Gefühl, wenn es sich zur nationalistischen Überlegenheit steigert," so Keupp.
Größer, weiter, schneller?
Da das Erfolgsgefühl viele positive Auswirkungen auf unserer Leben hat, streben wir nach dem Sieg. Bisweilen auch über unsere körperlichen Grenzen hinaus. „Die künstliche Wettbewerbsherstellung kann dazu führen, dass Menschen oft nicht mehr erkennen, wo ihre Grenzen sind,“ warnt Keupp. „Dieses Steigerungsprinzip wird immer auffälliger – bereits bei Kindern und Jugendlichen.“ Viele Fernsehformate funktionieren nur noch so: Wer ist die Schönste? Wer singt am besten? Bei jungen Menschen erzeugen solche Wettbewerbe schnell das Gefühl, Verlierer zu sein, sobald sie nicht einem bestimmten Ideal entsprechen, so der Psychologe.
Niederlagen können auch ein Gewinn sein
Dabei sind Niederlagen wichtig. „Die Gewinnerkultur unserer modernen Gesellschaft führt leider dazu, dass wir nicht mehr über die Chance der Fehler nachdenken,“ sagt Keupp. „Eine gewisse Fehlerfreundlichkeit hilft uns, Lernprozesse anzustoßen.“ Der konstruktive Umgang mit Misserfolgen kann entscheidend für den nächsten Sieg sein. „Manchmal muss man sich einfach eingestehen, dass man nicht optimal vorbereitet war,“ so Keupp. „Das Schlimmste ist, wenn man jemand anderen für das eigene Versagen verantwortlich macht. Dazu neigen wir vor allem in partnerschaftlichen Beziehungen.“ Förderlicher ist es, sich nach einer Niederlage zu fragen, was ich beim nächsten Mal besser machen kann.
Manchmal erzielt man den größten Nutzen durch einen einfachen Perspektivenwechsel. Professor Keupp: „Unser Nachbarjunge kam einmal zu uns, nachdem er bei den Bundesjugendspielen knapp die erforderliche Punktzahl nicht erreicht hatte. Er war ganz stolz und meinte: „Von denen, die es nicht geschafft haben, war ich der Beste!“ Er hat eine Sicht der Dinge entwickelt, aus der er als innerer Sieger hervorgehen konnte.“