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Die Abneigung gegen genetisch manipulierte Organismen ist vehement. Hat das allein sachliche Gründe? Oder lassen wir uns, unbewusst, auch durch tief sitzende Gefühle leiten?
Die Biotechnologen waren in den 1990er
Jahren noch voller Zuversicht: Genetisch veränderte
Nutzpflanzen, so glaubten sie, seien die Zukunft der
Landwirtschaft. Doch es kam anders. In Europa ist
die Vermarktung von GMO (genetically modified organisms)
strikt reglementiert. Auf den Philippinen
und in Brasilien wurden Versuchsfelder zerstört, mehrere
Länder Afrikas und Asiens erließen Verbote oder
Einschränkungen, in den USA tobt eine hitzige Debatte
über Kennzeichnungspflicht.
Nun gibt es sicher gute Gründe, gentechnische
Anwendungen kritisch zu hinterfragen; die undurchsichtige
Rolle der Großkonzerne bei deren Vermarktung
etwa. Doch die Skepsis der GMO-Gegner geht
ja erheblich weiter: Viele Menschen vermuten, gentechnisch
veränderte Organismen seien gesundheitsschädlich,
ja giftig, verursachten Krebs, machten unfruchtbar,
schädigten die Umwelt.
Dem gegenüber stehen zahlreiche wissenschaftliche
Studien, die zu gegenteiligen Resultaten gelangen.
Es soll hier nicht um das Für und Wider von Gentechnik gehen. Sondern um die Frage: Woher rührt diese verblüffende Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher
Evidenz und öffentlicher Meinung?
In einer Gruppe von Philosophen und Biotechnologen
der belgischen Universität Gent habe ich
nach Antworten gesucht. Das Ergebnis unserer Studie:
Die Abneigung gegen Gentechnik ist offenbar
auch intuitiv gesteuert.
Denn wir sind keineswegs in dem Ausmaß souveräner
Herr unserer Gedanken, wie wir gern glauben.
Unser Denken basiert zu einem großen Teil auf Eingebung,
findet gewissermaßen unter dem Radar bewusster
Wahrnehmung statt. Ideen und Glaubenssätze,
die unsere Intuition ansprechen, sich in bereits
bestehende Denkschemata einpassen, lassen sich
schnell verarbeiten und leicht abrufen, sind eingängig.
Aber welche intuitiven Abläufe sind es, die das
negative Bild von GMO in unseren Köpfen festigen?
Pflanzen mit Flossen
Da ist zum einen ein tief in uns wurzelnder „Essenzialismus“,
der uns annehmen lässt, Organismen besäßen
einen wie auch immer gearteten Kern des Seins.
Eine Essenz, welche die Identität eines Individuums definiere – etwa das Erbgut. Viele Menschen beschleicht
daher das Gefühl, mit dem Transfer eines
Gens von einer Art auf die andere würde auch das
Wesen der beiden Organismen vermischt.
So waren mehr als die Hälfte der Befragten in
einer US-Studie davon überzeugt: Wenn man Fisch-
DNS in eine Tomate überträgt, wird diese Tomate
nach Fisch schmecken. Es gab tatsächlich Versuche,
die Kälteresistenz der Winterflunder von der US-Ostküste
durch Gentransfer auf empfindliche Nutzpflanzen
wie Tomaten zu übertragen. Was aber keine Auswirkungen
auf den Geschmack haben würde.
Ein Erbguttransfer über Artengrenzen hinweg,
gar vom Fisch zur Pflanze, bereitet besonderes Unbehagen.
Anti-Gentechnik-Aktivisten
setzen auf diesen Vorbehalte, wenn
sie Bilder von Tomaten mit Flossen
in Umlauf bringen.
Du sollst nicht Frankenstein spielen
Auch die intuitive Annahme von Absicht
und Zweckgebundenheit allen
menschlichen Handelns beeinflusst
unsere Haltung zur Gentechnik. Eigentlich
befähigt uns diese Denkweise
dazu, das Verhalten unserer Mitmenschen
einzuschätzen, ihre Wünsche,
ihre Absichten. Doch wir übertragen
diesen Glauben an das Sinnhafte und
Zielgerichtete auch auf andere Bereiche:
Wir fluchen auf das Auto, wenn
es uns im Stich lässt, ermahnen den
Computer, wenn er langsam arbeitet.
Angewandt auf die Sphäre der Biologie
lässt diese Intuition uns annehmen, auch die Natur
sei ein bewusst handelnder Akteur.
Diese Intuition ist Basis aller religiösen Glaubenssysteme.
In säkularer Weltsicht scheint sie die
Idee einer „Mutter Natur“ zu beflügeln, die dem Menschen
als kraftvoller, gütiger Akteur begegnet, und
die automatisch zum Besten strebt. Und in deren
Walten wir uns nicht einmischen sollten.
Gentechnik erscheint vor diesem Hintergrund
als Angriff auf den großen Masterplan der Natur.
GMO wirken „widernatürlich“, Gentechniker spielten
Gott. Der Begriff „Frankenfood“ trägt die Botschaft
in sich: Wenn wir gegen den Willen der Natur agieren,
werden wir Schreckliches hervorrufen – wie jener
literarische Dr. Frankenstein, der in seiner Selbstanmaßung
ein Menschen-Monster schuf.
Ekel ist ein weiteres Gefühl, das unsere Haltung
zur Gentechnik beeinflusst. Lange, bevor wir Menschen
den Zusammenhang von Hygiene, Mikroben und Infektionen begreifen konnten, hat die Evolution
uns mit einem Mechanismus ausgestattet, der uns
intuitiv fernhält von potenziell krank machenden
Substanzen – weil er, etwa angesichts von Fäkalien
oder verdorbenem Fleisch, Ekelgefühle weckt.
Wir haben gelernt, lieber übervorsichtig zu sein
als leichtsinnig. Vor allem auf Dinge, die wir in den
Mund stecken, reagiert unser Ekelsensor sensibel: Im
Zweifelsfall lieber etwas liegen lassen, das vielleicht
gar nicht schädlich ist, als das hohe Risiko in Kauf zu
nehmen, das der Verzehr von Verdorbenem oder Giftigem
mit sich bringt.
Auch GMO lösen auf diese Weise den Ekelreflex
aus: Die genetische Modifikation erscheint als Verschmutzung
der organischen Essenz.
Dieses tief in uns wurzelnde Gefühl
nährt die Idee, GMO könnten krank
machen oder unfruchtbar. Sie könnten
die Umwelt verschmutzen, „natürliche“
Pflanzen infizieren oder
ganze Schiffsladungen voller Futterpflanzen
kontaminieren.
Ekel beeinflusst auf subtile Weise unser
moralisches Urteil, lässt
uns vorschnell und pauschal urteilen.
Nicht nur „Frankenfood“ erscheint
suspekt, abstoßend wirken auch all
jene, die damit hantieren. Individuen,
Unternehmen, Institute etwa, die sich
mit der Entwicklung oder Vermarktung
von GMO befassen.
Analysen der Kognitionsforschung
wie die unsere sollen und
können keinesfalls dazu dienen, Argumente gegen die
Gentechnik zu widerlegen. Selbstverständlich kann
sie unerwünschte Folgen haben (wie die konventionelle
und die biologische Landwirtschaft auch). Und
selbstverständlich kann es auch gentechnisch hergestellte
Produkte geben, bei denen sich herausstellt:
Diese sind nicht für die Vermarktung oder den Verzehr
geeignet.
Die Rolle der multinationalen Konzerne, die
wachsende Herbizid-Resistenz von „Unkräutern“ –
all das sind real existierende Probleme, die nach Lösungen
verlangen. Doch, und darum geht es hier:
Im Zusammenhang mit dem Reizwort „Gentechnik“
erhalten diese Probleme offenbar eine ganz eigene
drastische Qualität.
Intuitive Ablehnung aber kann kein Argument
gegen die Gentechnik per se sein. Wir sollten Risiken
und Nutzen nüchtern abwägen, von Fall zu Fall.
Damit wäre viel gewonnen.
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