Im gynäkologischen Alltag kommen regelmäßig
Diagnosen und Ereignisse zur Sprache, die
bei Patientinnen krisenhafte
Belastungsreaktionen auslösen können. Daher
empfiehlt Dr. Almut Dorn (Hamburg)
Frauenärztinnen und Frauenärzten eine
sorgsame Schulung im Umgang mit psychischen
Krisen. "Meist sind diese sogenannten
´Anpassungsstörungen und Reaktionen auf
schwere Belastungen´ vorübergehende Prozesse
mit unterschiedlichen Symptomen," beschreibt
die Psychotherapeutin in ihrem Beitrag zum
aktuellen Reader "Psychologie in der
Gynäkologie".
"Die Haltung des Therapeuten/Arztes muss in
der Begleitung in und durch die Krise
möglichst flexibel sein. Zwischen aktivem
Zuhören, einer nicht interpretierenden bis
hin zu einer sehr direktiven Haltung, kann
alles erforderlich sein. Je stabiler die
betroffene Person selber ist und an der
Bewältigung aktiv mitarbeiten kann,
desto mehr kann sich die Hilfe auf ein
einfühlsames, vielleicht ordnendes Begleiten
beschränken. Je erstarrter jemand in der
Krise wirkt und sich passiv verhält, desto
direktiver muss die Hilfe ausfallen, z.B. in
dem Rat, Medikamente einzunehmen,
Unterstützung zu organisieren o.ä..
Bei selbst- oder fremdaggressivem Verhalten
ist eine abwartende, nondirektive Haltung
fehl am Platz, dann müssen Entscheidungen
zunächst abgenommen werden. Häufig ist es
sinnvoll, der Patientin zunächst Raum und
Zeit zu lassen, ihre Gefühle zu äußern, -
und nicht gleich zu versuchen, die Probleme
zu lösen oder in einen Aktionismus zu
verfallen, um die Lösung voranzutreiben.
Viel hilfreicher kann es sein, die Gefühle
der Patientin und ihrer Angehörigen einfach
nur auszuhalten, zu spiegeln, zu schweigen
und da zu sein ..."
Almut Dorn formuliert konkrete, detaillierte
Empfehlungen zu Interventionen bei
Suizidalität, psychotischen Krisen,
Aggressionen,
Vergewaltigung/Traumatisierung,
einschneidenden Diagnosemitteilungen,
Verlusterlebnissen, Entscheidungskrisen.
Abschließend fokussiert die Psychologin ein
meist verschwiegenes Thema: Was geschieht in
diesen Krisen mit den Helfern selbst? "Ist
jemand an dem krisenhaften Geschehen selber
beteiligt, z.B. bei einem peripartalen
Kindstod, können die gleichen Reaktionen und
posttraumatischen Symptome im Sinne einer
Primärtraumatisierung auftreten wie bei den
Betroffenen. Nur wird gerade Ärzten und
Psychotherapeuten routinemäßig keine
Krisenintervention angeboten."
Almut Dorn zeigt, dass für Patientinnen wie
TherapeutInnen von einem gewissen Grad an
eine professionelle Psychotherapie indiziert
sein kann.
Johannes Bitzer, Hans-Wolfgang Hoefert (Hrsg.)
Psychologie in der Gynäkologie
Pabst 2014, 374 Seiten, ISBN 978-3-89967-985-4