Psychologie: Es lebe die Durchhalteparole

Psychologie Es lebe die Durchhalteparole

Trainer im Abstiegskampf haben mehr Stress als Fallschirmspringer. Wie sollen sie da noch die Köpfe der Profis erreichen?

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18.05.15, 02:20

Psychologie

Trainer im Abstiegskampf haben mehr Stress als Fallschirmspringer. Wie sollen sie da noch die Köpfe der Profis erreichen?

Von
Oskar Beck

Wie viel Uhr es im Abstiegskampf ist, weiß man spätestens seit dem Abpfiff am Sonnabend in Freiburg. Christian Streich sprang hoch wie von der Tarantel gebissen, rannte Unschuldige über den Haufen, rutschte aus, rappelte sich wieder auf und flüchtete schnurstracks in die Kabine. "Ich musste Ruhe finden", sagt er. In Wahrheit wollte der Freiburger Trainer nur keine Zeit verlieren – vermutlich hat er blitzschnell im Netz gegoogelt, mithilfe der Stichworte "5 vor 12 - was tun?" Der frühe Vogel pickt den Wurm. Wer jetzt nicht auf Zack ist, kann sich die Kugel geben. Ein Spiel noch. Shootout. Oder sagen wir es im Fußballerjargon: "Sieg oder Sarg".

Alarmierende Studien belegen, dass der Stress eines Fallschirmspringers vor dem ersten Sprung kleiner ist als der eines Fußballtrainers im Abstiegskampf. Man sieht es ihnen an. Sie sehen dann aus wie Andy Brehme, der in Kaiserslautern in der Krise einst sagte: "Es stehen uns schwere Wochen ins Gesicht." Jetzt sind es nur noch Tage. Michael Frontzeck hat es nach dem Sieg seiner Hannoveraner in Augsburg so gesagt: "Heute freuen wir uns, morgen ist Pflege, am Montag frei - und dann wird getan, was zu tun ist."

Was kann man noch tun? Jetzt müssen die letzten Kräfte gebündelt werden, vor allem bei den Hamburgern. Nach dem 1:2 in Stuttgart konnte man sie kaum ungeschminkt vor die Kamera lassen, "die Angst lähmt", erkennt René Adler in der Tiefe des Tores, und "Bild" fürchtet im Namen des Volkes: "Dem HSV hilft nur noch beten".

Oder Uwe. Der HSV-Ehrenspielführer muss noch mal die Seelerschen Ärmel hochkrempeln, auf die Zähne beißen, in die Hände spucken und durch die Kabine brüllen: "Keiner lässt die Schlappohren hängen!" Wenn Uwe fertig ist, muss Bruno Labbadia seinen Männern aus den Memoiren von Alex Ferguson vorlesen, an der Stelle, wo die Trainerlegende von Manchester United schreibt, wie er einmal zu Phil Neville sagte: "Phil, ich möchte, dass du jetzt diesen Berg hoch rennst, dann zurückkommst und den Baum hier fällst." Neville antwortete: "Alles klar, Boss, wo ist die Kettensäge?" Solche Kerle braucht jetzt auch Labbadia.

Wie kocht man ein Weichei hart? Oft helfen kleine Tricks. Als Boxer Michael Moorer nach einer laschen Runde im WM-Fight gegen Evander Holyfield in die Ecke kam, empfing ihn Trainer Teddy Atlas auf dem Hocker mit dem Schrei: "Sollen wir die Plätze tauschen?" Der Motivationsschub half, Moorer gewann.

Die richtige Motivation ist alles

Es gibt reizvolle Rituale, die einem Trainer in höchster Not zur Verfügung stehen: Die Wut- und Brandrede, das Verbuddeln einer Münze, eine Hasenpfote in der Unterhose – oder ein blauer Pullover. Udo Lattek hat in so einem die Flugbahn der Bälle verändert und sie vom Pfosten abprallen lassen. Auch Matthias Sammer wäre ohne Lattek womöglich nicht das, was er heute ist. Im ZDF-Sportstudio erinnerte der Bayern-Sportchef an den Abstiegskampf in Dortmund, wo sie ihm den eisgrauen Wolf zur Seite stellten – und weil Lattek der Öffentlichkeit die Magie seines Schaffens ungern vorenthielt, kam heraus, dass er sogar Manager Michael Meier entscheidend motiviert hat. O-Ton Udo: "Als Meier ging, war er einen halben Meter größer. Dabei haben wir nur ein Glas Bier getrunken." Was wird André Breitenreiter nun tun? "Wir müssen", erklärte der Paderborner Trainer nach dem Pech auf Schalke, "dieses Spiel jetzt aus den Köpfen bekommen. Aber es zeichnet uns aus, dass wir die Köpfe immer wieder hoch bekommen." Das A und O aller Strohhalme ist die Durchhalteparole.

So viel zu den vielen Rezepten gegen das Ertrinken. Wer glaubt, ohne sie auszukommen, ist im Abstiegskampf fehl am Platz und kann nur noch den Schiedsrichter bestechen oder Peter Neururer anrufen – unerreicht bleibt dessen vollmundig durch die Kabine geschmetterte Sprechblase: "Ihr müsst so heiß sein, dass ihr mit euren Händen Hosen bügeln könnt!"

Wer das nicht kann, steigt ab.

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