Die Serie „Dexter“, so heißt es, sah er besonders gern. Ob er ein Psychopath ist wie Dexter wird vor Gericht erörtert. Es geht um die „Schuldfähigkeit“.
Schuldfähigkeit – ein merkwürdiges Wort: Ist der Psychopath unfähig, Schuld auf sich zu laden? Ist er an dem Mord, den er begeht, nicht schuld? Im deutschen Strafgesetzbuch, Paragraph 20 steht: „Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“
Bei Dexter Morgan, dem Fernsehpsychopathen, ist das gewiss der Fall. Weil es in der Serie weit weniger um die Taten als um Dexters Bewusstsein und dessen Störung sowie den Umgang damit geht, ist sie so interessant. Im Off-Kommentar und in Rückblenden erzählt der Serien-Held ausführlich davon: Als Kind erlebte er, wie seine Mutter abgeschlachtet wurde. Danach wuchs er bei einem Polizisten auf, der ihn zwar nicht heilen konnte. Aber immerhin brachte er dem gestörten Jungen bei, was gut und böse ist. Also tötet der erwachsene Dexter – wissend, dass das böse ist – nur die Bösen, reihenweise.
Er spricht vom „dunklen Passagier“ in seinem Inneren, er kann nicht anders; seine monströse Schuld ist also, nach unserem Strafgesetzbuch jedenfalls, gar keine. Um den guten Sinn dieses Gesetzes soll es hier nicht gehen. Es geht um die Menschen, die Dexter zusehen und mögen.
Der Trick ist zunächst ein einfacher: Dexter tötet nur die wirklich Bösen, solche nämlich, die die Guten töten. In Fernsehserien und in Filmen ist das möglich, da können Helden Gut und Böse sauber trennen. Das passiert in jedem Actionfilm, und das macht die Filme für uns Zuschauer so attraktiv. Alles ist aufgeräumt und nicht so furchtbar kompliziert wie die Welt, die uns umgibt. Und so birgt jeder dieser Filme diese Gefahr, jeder Western, jede Folge „24“, jeder Schwarzenegger-Film: Dass ein Zuschauer auf die Idee kommt, im wahren Leben ein Filmheld zu sein, allwissend, gerecht und, wenn es gar nicht anders geht, auch grausam.
Breivik tötete keine bösen Menschen, aber er behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben, um einer höheren Wahrheit Willen, die allein er kennt. Die Serie „Dexter“ ist um Längen intelligenter, reflektierter als etwa „24“, wo der Held die fiesen Terroristen fies zur Strecke bringt und dabei übermenschlich strahlt. Dexter spricht über seinen Wahnsinn, er mordet, weil er krank ist. Aber in der Substanz ist es dasselbe: Der Zuschauer identifiziert sich mit dem Mörder der Mörder.
In den USA, wo die Serie seit 2006 läuft, gibt es schon lange eine Diskussion um den „Dexter Factor“. Dort sind zwei Fälle bekannt geworden, in denen Dexter-Fans zu Mördern wurden. Es ist die alte Debatte um die verrohende Wirkung von Gewaltdarstellung. Niemand weiß genau, wie stark oder schwach sie ist. Man weiß: Filme oder Computerspiele allein reichen noch lange nicht. Anders Breivik spielte das Online-Rollenspiel „World of Warcraft“. Und er las Kafka. Da gibt es auch Gewaltdarstellungen.
In der zweiten „Dexter“-Staffel erfährt die Öffentlichkeit von den Morden an den Mördern. Daraufhin wird die Nachahmungsgefahr zum Thema. Es gibt einen Mann, der, seinem Vorbild gleich, jemanden tötet, den er für böse hält. Und was macht Dexter? Er tötet den Nachahmer.