Psychologie des Reichtums: Verdirbt Geld den Charakter?




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In Piffs Studie nahmen sich reiche Menschen mehr Bonbons, obwohl sie wussten, dass andere dadurch weniger bekamen.

Im Frühjahr 2012 veröffentlichte der Psychologe Paul Piff, damals Doktorand an der University of California in Berkeley, eine Studie, die für Aufsehen sorgte. Im Fachjournal PNAS stellte er die These auf, dass sich Reiche unmoralischer verhalten als Arme. Piff und seine Mitautoren lieferten in sieben verschiedenen Untersuchungen eindrucksvolle Beweise für ihre These. An einer Kreuzung in Berkeley hatten die Forscher zum Beispiel protokolliert, welche Autofahrer an einem Stoppschild weiterfuhren, ohne anzuhalten – beziehungsweise, wer Fußgänger nicht über die Straße ließ. Das Ergebnis: Die Fahrer teurer Autos hielten sich deutlich seltener an die Regeln.

Von Dieben und Schummlern


In einem anderen Experiment hatten Versuchspersonen die Gelegenheit, sich Bonbons aus einem Glas zu nehmen – obwohl man ihnen vorher gesagt hatte, dass die Süßigkeiten für eine Gruppe von Kindern gedacht seien, die dann weniger Bonbons bekommen würden. Es zeigte sich, dass diejenigen, die – nach eigenen Angaben – wohlhabender waren, mehr Bonbons klauten. Und auch bei einem Würfelspiel um Geld hatten die Probanden aus höheren sozialen Schichten weniger Skrupel – und schummelten häufiger, um zu gewinnen.

Piffs Studie fand in der Öffentlichkeit große Resonanz, positive wie negative. Kritiker warfen ihm und seinem Team vor, "linke", kapitalismusfeindliche Forschung zu betreiben – zumal die Universität Berkeley vielen Konservativen in den USA schon seit Jahrzehnten ein liberaler Dorn im Auge ist. Andere aber sahen sich in ihrer Meinung bestätigt: Die Nachrichten von skrupellosen Geschäftemachern, die zum Beispiel an der Wall Street Milliarden verzockten und dabei das Vermögen ihrer Anleger oder Arbeitgeber durchbrachten, selbst aber Unsummen einstrichen, waren im kollektiven Gedächtnis noch sehr präsent.

Mehr Gier - weniger Empathie?

Zwei Punkte waren den Forschern aus Berkeley besonders wichtig. Zum Einen die Haltung einer Person zum Thema Gier: Hielt eine Person Gewinnstreben für etwas Gutes, stieg den Wissenschaftlern zufolge die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich unmoralisch verhielt. Zum Anderen geht es um Empathie: Die Forscher nehmen an, dass Menschen aus höheren Schichten die Emotionen ihres Gegenübers weniger gut erkennen, sich also schlechter in eine andere Person hineinversetzen können.




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Der Psychologe Paul Piff erforscht Geld und Gier.

In eine ähnliche Richtung gehen auch mehrere Experimente, die die amerikanische Sozialpsychologin Kathleen Vohs an der University of Minnesota durchgeführt hat. Sie fasst ihre Ergebnisse so zusammen: "Wer an Geld denkt, benimmt sich häufiger daneben." Vohs hat Experimente mit Versuchspersonen gemacht, die vorher unbewusst an das Thema Geld erinnert wurden – zum Beispiel, indem im Wartezimmer "zufällig" Bilder von Banknoten zu sehen waren. Anschließend sorgten die Forscher dafür, dass eine Person die Probanden anrempelte, wobei eine Schachtel mit Bleistiften herunterfiel. Vohs und ihre Kollegen zählten dann, wie viele Bleistifte die Probanden vom Boden aufhoben: Diejenigen, die vorher an Geld erinnert worden waren, sammelten weniger Stifte auf als die übrigen Versuchspersonen.

"Geld sorgt dafür, dass wir funktionieren"

Die Psychologin interpretiert diese Ergebnisse so: "Der Gedanke an Geld macht die Menschen nicht bösartig – aber er sorgt dafür, dass sie sich weniger für die Probleme anderer Leute interessieren." In anderen Untersuchungen hat Vohs gezeigt, dass Personen, die vorab an das Thema Geld erinnert wurden, auch weniger empfindlich für Stress oder Schmerz waren. "Geld sorgt dafür, dass wir funktionieren", glaubt sie.


Lässt uns also schon allein der Gedanke an Geld die gute Kinderstube vergessen – und sind Reiche wirklich Egoisten? Es gibt auch eine ganze Reihe prominenter Gegenbeispiele: "Whistleblower" zum Beispiel setzen ihre Karriere, ihren Status und manchmal auch ihre persönliche Sicherheit aufs Spiel, um zum Wohl der Allgemeinheit Missstände aufzudecken. Microsoft-Gründer Bill Gates gibt Milliarden Dollar für wohltätige Zwecke – und viele andere Superreiche tun es ihm gleich. Andererseits: Insgesamt spenden in den USA die Ärmeren einen größeren Anteil ihres Einkommens als die Reichen.

Reich und arm sind zu einfache Kategorien




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Nicht jeder reiche Mensch muss ein Faible für teure Autos haben.

Das Ganze ist nicht ganz so simpel wie Piff und seine Mitstreiter behaupten, meint Stefan T. Trautmann von der niederländischen Universität Tilburg. Der Ökonom hat die Untersuchung aus Berkeley 2013 in einem eigenen Artikel kritisiert. Trautmann glaubt, dass es etwa in Piffs Autofahrer-Untersuchungen einen Denkfehler gibt: Es könnte ja auch sein, dass nicht vor allem wohlhabende Menschen teure Autos fahren, sondern vor allem diejenigen, denen Statussymbole besonders wichtig sind. Dazu würden dann zum Beispiel auch Menschen aus niedrigeren sozialen Schichten gehören, die für ein teures Auto unvernünftig viel Geld ausgeben, schreibt er.


Der wichtigste Einwand des Niederländers: Die Einteilung der Versuchspersonen in sozio-ökonomische Schichten war bei Piff nicht korrekt. So hätten zum Beispiel sehr reiche Personen einen ähnlich hohen gesellschaftlichen Stand wie gebildete Menschen, aber völlig andere moralische Standards. Für eine eigene Untersuchung hat Trautmann deshalb sechs verschiedene Variablen einbezogen, um die Versuchspersonen in verschiedene Status-Gruppen einzuteilen – vom Einkommen über die Art des Jobs bis hin zum Bildungsniveau.

"Die Leute leben in einer anderen moralischen Matrix"

Der Kontostand ist also vielleicht doch kein so zuverlässiger Anhaltspunkt bei der Frage, wie es eine Person mit Moral und Anstand hält. Wohl aber haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen unterschiedliche moralische Standards, was auch Trautmann betont: So kann es sein, dass es in Familien der Oberschicht durchaus erwünscht ist, dass ein Kind die eigenen Interessen über die anderer stellt  – das heißt, dass es zuerst an sich selbst denkt. Frei nach dem Motto: "Auch im Flugzeug soll man sich zuerst selbst die Sauerstoffmaske überziehen, damit man dann anderen helfen kann." Eltern mit geringerem gesellschaftlichem Status tendieren nach dieser Theorie dagegen eher dazu, ihrem Kind beizubringen, dass es auf andere angewiesen sein könnte und deshalb Rücksicht nehmen sollte.




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Steuerbetrug - für manche ein Tabu, für andere ein Kavaliersdelikt

Menschen halten in der Regel diejenigen moralischen Fehltritte für akzeptabler, von denen sie denken, dass viele andere in ihrer gesellschaftlichen Gruppe sie auch begehen. Trautmann nennt als Beispiel einen Antiquitätenhändler und eine Verkäuferin im Supermarkt: Der eine würde niemals Ladendiebstahl begehen, hätte aber weniger Skrupel beim Steuerbetrug - und bei der anderen ist es wahrscheinlich eher umgekehrt. Das Fazit des Ökonomen: "Die Leute leben in einer anderen moralischen Matrix."

Eine ganze Reihe an Forschungsfragen bleiben also noch offen. Die ersten sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Thema sind aber auch gerade erst zehn Jahre alt. Dabei wird die Frage, was mit uns passiert, wenn wir sehr viel – oder sehr wenig – Geld zur Verfügung haben, immer wichtiger: Schließlich geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander.

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