Psychologie: "Arbeitslose fallen in ein Loch"

Wer seinen Job verliert, läuft Gefahr, in ein Gefühl der Minderwertigkeit abzugleiten. Die Diplom-Psychologen Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader haben zusammen mehr als 20 Bücher zum Thema "Über-Leben in der Arbeitswelt" geschrieben. Mit ihnen sprach Dietgard Tomczak.

Nach der Kündigung fallen viele Menschen in ein Loch, fühlen sich nutzlos. Wie kann man dem vorbeugen?

Jürgen Hesse: Die meisten Menschen haben ein sehr intensives Verhältnis zu ihrer Arbeit. Ihr Verlust bedeutet darum einen schweren Einschnitt, der ebenso wie beispielsweise die Trennung vom Partner mit Trauer verbunden ist. Diese erste Zeit der Trauer kann drei Tage bis drei Wochen dauern. Wichtig ist, dass man seine Gefühle zulässt und nicht verdrängt. Es gibt ja Menschen, die nehmen weiter jeden Morgen ihre Aktentasche und tun so, als ob sie ins Büro gehen, weil sie mit der Situation nicht fertig werden.

Was kann man tun, wenn sich das Problem schon so verfestigt hat?

Hans Christian Schrader: Wenn es soweit ist, muss man psychologisch behandelt werden. Es gibt ja auch noch andere Erkrankungen, die aus dem nicht-verarbeiteten Trauma herrühren: Depressionen, Schlafstörungen, Kopf-und Rückenschmerzen oder Hautprobleme. Daraus kann man nur den Schluss ziehen, dass wir nicht unser ganzes Leben von der Arbeit abhängig machen dürfen. Ein griechisches Sprichwort lautet: "Es ist ein Fehler, sein Leben nur an einen Anker zu ketten."

Was macht man aber, wenn man sein Leben daran gekettet hat, weil es ja auch gesellschaftlich gewollt ist und einen gewissen Lebensstandard garantiert, viel zu arbeiten?

Hesse: Zunächst sollte man nach dem ersten Schock überlegen: Was kann ich? Wo liegen meine Fähigkeiten? Auch solche, die ich bisher für meinen Beruf nicht gebraucht habe. Dann muss man den Arbeitsmarkt prüfen. Andere Branchen in Erwägung ziehen, sich bewerben.

Und wenn jemand trotzdem die hundertste Absage bekommt und dann letztlich entmutigt ist, was kann man dann überhaupt noch raten?

Schrader: Auf keinen Fall resignieren. Aktion statt Resignation.

Hesse: Natürlich kann man die erste Zeit mit dem Frühstückfernsehen überbrücken, aber dann muss man wieder etwas tun. Viele laufen mit Scheuklappen rum und wissen nicht, was sie wirklich können. Aber jeder hat mehrere Begabungen, auch wenn er das im ersten Moment nicht glaubt. Sicherlich lassen sich nicht alle in gutbezahlte Arbeit umsetzen. Das ist ein ökonomisches Problem, das wir Psychologen nicht lösen können. Aber es wird wohl immer schwerer werden, neue Arbeitsplätze in Millionenzahl zu schaffen. Darum müssen wir uns umorientieren und neue Wertmaßstäbe setzen.

Welche Werte könnten das sein in einer Gesellschaft, die sich weitgehend über den Kommerz definiert?

Hesse: Die Droge "Geld" muss relativiert werden. Man kann auch mit weniger auskommen, und wir werden das lernen müssen. In Italien ist es zum Beispiel eine Peinlichkeit, jemanden, den man gerade auf einer Party kennengelernt hat, nach dem Beruf zu fragen. Bei uns ist das selbstverständlich. Spätestens nach zwei Minuten kommt das Gespräch auf die Arbeit. Dabei gibt es auch noch die Familie, Freunde, Hobbys. Es muss gesellschaftlich anerkannt werden, wenn man sagt: Ich bin Vater zweier Kinder. Anstatt: Ich bin Manager und arbeite 70 Stunden die Woche.

Können Sie Alternativen nennen?

Hesse: Auch ehrenamtliche Arbeit ist sinnvoll und gesellschaftlich sehr nützlich. Ich arbeite zum Beispiel in der Telefonseelsorge. Da sind viele junge Psychologen, die keinen Job gefunden haben. Die lernen da ja auch was und helfen anderen.

Schrader: Schon während des Arbeitsalltags muss jeder für sich auch andere Interessen entwickeln. Wir kennen das Problem ja von Rentnern. Viele fallen genau wie Arbeitslose in ein Loch, wenn sie auf einmal nicht mehr gebraucht werden. Aber es gibt auch welche, die geben ihre Kenntnisse an andere weiter, beispielsweise indem sie in Senioren-Expertenbüros junge Unternehmen beraten.

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