Der Psychologe Paul Bloom erforscht die skurrilen Seiten der Menschen: Warum sie an wertlosen Dingen hängen, eine weiße Leinwand für Kunst halten – und Männer von Sex mit einer Jungfrau träumen.
ZEIT Wissen: Herr Professor Bloom, an Ihren Wänden ist noch Platz. Würden Sie ein Bild aus Fäkalien aufhängen?
Paul Bloom: Nein, warum sollte ich?
ZEIT Wissen: Weil Sie sagen, so etwas sei Kunst und mache Menschen Freude. In Ihrem Buch erwähnen Sie, dass die Tate Gallery 61.000 Dollar für eine Dose mit Fäkalien des Künstlers Piero Manzoni zahlte.
Bloom: Persönlich mag ich diese Art von Kunst nicht. Aber als Psychologe erforsche ich, was die Menschen mögen. Und manchen bereitet es Vergnügen, Fäkalien eines Künstlers zu sammeln oder auch eine Leinwand zu besitzen, die völlig weiß ist.
Der Professor für Psychologie an der Yale University erforschte, wie Menschen eine Sprache erlernen, und geht heute der Frage nach, wie wir die Welt wahrnehmen und was uns antreibt. Vor allem interessieren ihn die Liebe zur Kunst und Moralvorstellungen. Um die menschliche Natur zu ergründen, macht er viele Studien mit Kindern. Sein Buch Sex und Kunst und Schokolade. Warum wir mögen, was wir mögen ist vor Kurzem auf Deutsch erschienen.
ZEIT Wissen: Dabei ist die Geschichte des Vergnügens doch sehr schnell erzählt: Wir mögen Essen und Sex, weil wir überleben und uns fortpflanzen wollen.
Bloom: Ja, darauf sind wir auch geeicht. Wir streben nach Dingen, die uns in der Evolution weiterbringen: Essen, Sex, Gemeinschaft, Wissen, Sicherheit, Wärme. Diese Erklärung reicht aber nicht aus. Ich behaupte, unser Vergnügen ist tiefgründig. Wenn wir die Welt betrachten, sehen wir nicht nur die oberflächlichen Eigenschaften – wie etwas aussieht, sich anfühlt oder riecht. Wir schauen tiefer. Wir glauben, dass Dinge und Menschen eine innere Essenz haben, die sie zu dem macht, was sie sind.
ZEIT Wissen: Was meinen Sie mit innerer Essenz?
Bloom: Wir reagieren bei einem Gemälde auch auf unsichtbare Eigenschaften: wer es gemalt hat, was der Maler dabei gedacht und empfunden hat. Es geht um etwas Ideelles, das dem Werk innewohnt. Deshalb ist ein Original mehr wert als eine Fälschung, selbst wenn wir den Unterschied nicht erkennen. Wie wir etwas wahrnehmen, wird durch unsere Gedanken darüber beeinflusst. Selbst Wasser schmeckt besser, wenn man annimmt, es stamme aus einer Quelle und nicht aus der Leitung.
Dieser Text stammt aus dem aktuellen ZEIT Wissen Magazin, das am Kiosk erhältlich ist. Klicken Sie auf das Bild, um auf die Seite des Magazins zu gelangen
ZEIT Wissen: Und warum ist das so?
Bloom: Diese essenzialistische Neigung ist angeboren. Schon bei Kindern ist das Interesse, tief zu blicken, fest verdrahtet. Woher kommt etwas? Wer oder was ist es wirklich? Nicht angeboren ist das, was uns wichtig ist. Das variiert von Kultur zu Kultur.
ZEIT Wissen: Erklärt der Sinn für Essenz, warum manche Leute Millionen von Euro für Kunst ausgeben?
Bloom: Ich denke schon. Es ist eine faszinierende Eigenschaft des Menschen, dass ein simples Objekt ohne materiellen Nutzen einen enormen Wert haben kann – allein wegen unserer Vorstellung davon, woher es stammt, welche Geschichte es hat. Das gilt nicht nur für einen Rembrandt. Die Menschen zahlen auch astronomische Summen für die Golfschläger von John F. Kennedy oder den Handschuh von Michael Jackson.
ZEIT Wissen: Und woher wissen Sie, dass diese Menschen nicht einfach nur angeben wollen?
Bloom: In einem Experiment haben wir Erwachsene befragt, wie viel Geld sie für bestimmte Gegenstände bezahlen würden, und tatsächlich waren ihnen Dinge mehr wert, die Prominenten gehört hatten, etwa ein Pullover von George Clooney. Dann haben wir gefragt: Wie viel würden Sie zahlen, wenn Sie niemandem davon erzählen und den Pullover nicht verkaufen dürften? Daraufhin sank der Wert, aber nur leicht.
ZEIT Wissen: Was keine eindeutige Aussage zulässt.
Bloom: Deswegen haben wir einigen Leuten gesagt: Sie dürfen den Pullover verkaufen und anderen davon erzählen, aber bevor Sie ihn erhalten, wird er gereinigt. Das führte zu einem enormen Wertverlust. Tatsächlich gibt es eine Organisation, die Kleidung von Promis verkauft. Einmal erklärte sie auf ihrer Website, dass die Sachen gereinigt sind. Prompt wollten die Kunden sie nicht mehr haben.
ZEIT Wissen: Glauben die Leute, die Essenz des Promis werde beim Tragen des Pullovers auf sie übergehen?
Bloom: Es ist vor allem die Geschichte der Kleider, die ihnen Wert verleiht. Ob Menschen glauben, dass sie auf magische Weise etwas von der Essenz bekommen könnten? Bestimmt. Nehmen wir einen Extremfall, Kannibalismus. In Deutschland gab es den »Kannibalen von Rothenburg«...
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- DAS BÖSE
- 10.01.2012 um
19:36 Uhr
Es ist gut für uns, wenn wir andere Menschen betrachten und sage: Du bist...
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- whateveryouthink
- 10.01.2012 um
20:34 Uhr
Der Gedanke, dass die menschen unterschwellig an eine Art "Essenz" glauben, ist interessant. Nur versinkt das Gespräch dann selber Im Aberglauben. Bei folgendem Satz Blooms habe ich dann aufgehört zu lesen:
"Viele dieser Konsequenzen sind meiner Ansicht nach Unfälle oder Nebenprodukte dessen, was die Natur beabsichtigt hatte."
Die Natur hat also eine Absicht, sie plant,...da stehen mir die Haare zu Berge. Wie kann man nur so abergläubisch sein. Unwissenschaftlicher Hokuspokus getarnt als Erkenntnis.
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- DAS BÖSE
- 10.01.2012 um
21:14 Uhr
dass man Selbstverständlichkeiten erst dann glaubt, wenn irgend ein kluger Kopf sie in Worte zu fassen versucht. Die rationale Welt (die alles so schön erklären kann) ist nichts anderes wie ein Ei, schön weit weg gelegt vom Hühnerleben, dass die Welt der gackenden Hennen und auch das übrige Leben auf dem Bauernhof und darüber hinaus stolz in Worte fasst und sich deswegen selbst den Nobelpreis verleiht. Es gibt zwei Dinge: Die Lebensmaschine, die das ganze Universum sekündlich umkrempelt, wo alles schwimmt und taumelt und mitmachen muss und die stillstehenden "schlauen" Wortketten der Wortmacher. Wenn die etwas erklären können, egal ob richtig oder falsch, glauben die, dass sie dieses Leben erzeugt oder ihm zumindest das Startsignal gegeben haben. Der nicht gewaschene Pullover von George Cloony und der ungeklonte Teddybär bleiben immer noch die Nummer 1 in den Favoritencharts. Egal wie viele theoretische Betrachtungen und Papiersätze es darüber gibt.
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