Therapie statt Pillen: Die psychischen Erkrankungen werden häufiger, die Krankenkassen müssen sparen (jährlich 250 Millionen Euro für Psychopharmaka sind zu viel) – Psychotherapie wäre eine für alle Beteiligten sinnvolle Lösung. Doch die Ausbildung dazu ist teuer (rund 6300 Euro im Semester), und zwischen Angebot und Nachfrage liegen mittlerweile Welten. Die Idee, Psychologen auch psychotherapeutisch wirken zu lassen, hat bei den Therapeuten zu Protest geführt – und beim Rest zu der Frage: Was macht eigentlich wer? Und wie kommt er dazu?
Die Psychologie ist jedenfalls eines der beliebtesten Studienfächer und Basis für viele Richtungen. „Wir leben in einer säkularisierten und pluralistischer Welt, da übernimmt die Psychologie oftmals die Vorherrschaft zu anderen Erklärungsmodellen“, so Germain Weber, Dekan der Fakultät Psychologie an der Uni Wien. Gerade junge Menschen würden sich für die wissenschaftliche Theorien interessieren, allerdings mit wenig Vorstellung davon, wie die berufliche Ausübung dann vonstatten gehe.
Diagnose statt Therapie
Etwa, dass das Studium der Psychologie bis dato nicht zur Behandlung und Begleitung von psychisch erkrankten Menschen befähigt, sondern ermöglicht, mit standardisierten, diagnostischen Verfahren zu arbeiten. Erst nach dem Masterstudium darf man sich Psychologe nennen, und dann öffnen sich auch die Tore für eine Tätigkeit in der Prävention und Beratung. Etwa als Schul- oder Organisationspsychologe. Ebenso sind Wirtschaftspsychologen gefragte Experten, „denn die Wirtschaft bedingt nicht nur rationale, sondern auch emotionale Entscheidungen – wir sprechen von Verhaltensökonomik“, weiß Weber. Mancher Student wählt daher nebst dem Studium Psychologie auch BWL, um mit wirtschaftlichen Kennzahlen jonglieren zu können.
Beratung und Behandlung
Erst nach einer postgradualen Ausbildung im Anschluss an den Master „darf man sich Klinischer Psychologe nennen und neben der klinisch-psychologischen Diagnostik mittels Tests und Gespräche auch Behandlungen bei psychischen Symptomen vornehmen“, erklärt Veronika Holzgruber, Vizepräsidentin vom Berufsverband Österreichischer PsychologInnen. Im neuen Psychologengesetz ist nun eine zweijährige Zusatzausbildung fix, um als Klinischer oder Gesundheitspsychologe arbeiten zu können. Das sei auch als Qualitätskontrolle gerechtfertigt, meint Holzgruber. Auf psychologische Angebote treffe man mittlerweile an jeder Ecke und in jedem Buchladen: „Aber als Psychologin weiß ich, warum ich genau diese Frage auf jene Art und Weise stelle – ich agiere nicht bloß aus dem Bauch heraus.“ Und wer verordnet nun die Pillen in Zeiten psychischer Not? „Das dürfen nur Mediziner mit psychiatrischer Facharztausbildung, also die Psychiater“, klärt Holzgruber auf.
22 Spezialisierungsmöglichkeiten
Eine Psychotherapie zu praktizieren bleibt nur jenen vorbehalten, die sich dem langen und teuren Studium widmen. Etwa Claudia Ferstl, Psychotherapeutin in Ausbildung an der Sigmund Freud Privatuniversität (SFU). „Ich dachte, es sei die Psychologie, in die es mich zieht. Doch ich fand heraus, dass mich die Gesprächstherapie fasziniert und nicht die Diagnostik.“ Denn jeder Mensch sei sein eigener Experte für Lösungen – der Psychotherapeut stehe dem Klienten bei der Ressourcenfindung zur Seite. Der erste Teil des Studiums, das zweijährige psychotherapeutische Propädeutikum, liegt bereits hinter ihr. Verschiedene psychotherapeutische Schulen, medizinisches Wissen und Diagnostik beinhaltet dieser Studienabschnitt, der auch wissenschaftliches Arbeiten umfasst. Weitere vier Semester sind im Fachspezifkum notwendig. Insgesamt gibt es in Österreich im Bereich der Psychotherapie 22 unterschiedliche Methoden, aus denen ein Schwerpunkt auswählt wird – von der Psychoanalyse über Existenzanalyse und Verhaltenstherapie bis zur Systemischen Familienaufstellung. Wie das Studium der Psychologie setze auch dieses Studium „eine Auseinandersetzung mit sich selbst voraus – die letztlich auch nach der Ausbildung nicht aufhören darf“, so Ferstl. Wichtig sei zu lernen, sich adäquat abzugrenzen und ein vorgeschriebenes Setting in der Sitzung einzuhalten – und gleichzeitig einen Raum des Vertrauens zu schaffen, damit schwierige Themen überhaupt zur Sprache kommen.
Aus den Studienwegen und -inhalten ergibt sich es sich also nicht so einfach, Psychologen als Psychotherapeuten einzusetzen. Die weitere Entwicklung bleibt natürlich abzuwarten.
Psychologe: Studium (an Unis und Privat-Unis) mit Spezialisierungen (Organisation, Wirtschaft...), zweijähriges Zusatzstudium zum Klinischen Psychologen. Dieser diagnostiziert psychische Erkrankungen.
Psychiater: Medizinstudium zum Facharzt, verschreibt Medikamente.
Psychotherapeut: Studium (rund 6300 Euro pro Semester) mit Spezialisierungen, bietet diverse Psychotherapien an.
WEITERE INFORMATIONEN UNTER
http://studentpoint.univie.ac.at www.sfu.ac.at
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2013)
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