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Patienten sitzen meistens am kürzeren Hebel

Patientenschützerinnen fordern: Wer wegen einer klinischen Studie einen Schaden erleidet, soll einfacher zu einer Entschädigung kommen. Forscher befürchten eine Flut von Klagen.

Bei Patientin B. K. führte das Implantat zu einem Haftungsstreit: Röntgenbild einer Zwischenwirbel-Prothese. Bild: Keystone)

Kampf gegen Institutionen
Der Fall Roberto A.

Wie schwierig es für Studienteilnehmer sein kann, sich bei Problemen durchzusetzen, zeigt der Fall von Roberto A. am Universitätsspital Zürich (TA vom 3./4. Juli). Der krebskranke Patient nahm im Juni 2012 an der Dermatologischen Klinik an einer Studie mit dem experimentellen Krebsmittel LGX818 teil. Am neunten Tag der Studie tritt bei ihm eine schwere Gesichtslähmung auf, die ihn bis heute beeinträchtigt. Weil er von den Studienverantwortlichen schlecht betreut worden war, wehrte sich Roberto A. Statt ihn anzuhören, versuchte man, ihn jedoch als aggressiv und möglicherweise gewaltbereit abzustempeln. Der Patient musste an die kantonale Ethikkommission gelangen und bei Spitaldirektion und Spitalrat intervenieren, bis Untersuchungen zu seinem Fall eingeleitet wurden. Dies gelang dem todkranken, fremdsprachigen Roberto A. nur dank seiner ungewöhnlichen Willensstärke sowie seiner Ehepartnerin, die sich als Pflegefachfrau in medizinischen Fragen auskennt. Nach über einem Jahr ist der Fall Roberto A. heute jedoch noch immer nicht geklärt. Derzeit läuft eine externe Administrativuntersuchung. (fes)

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Patient A. S. wusste, dass er ein gesundheitliches Risiko einging, als er für eine Medikamentenstudie einwilligte. Darüber wurde er schriftlich und mündlich aufgeklärt. Was ihm jedoch niemand sagte: Er muss auch das finanzielle Risiko tragen. Prompt erlitt A. S. während der Studie eine schwere Infektion, eine bekannte Nebenwirkung des getesteten Medikaments, und musste deswegen seine beiden künstlichen Hüftgelenke auswechseln. Ein Jahr lang konnte A. S. nicht mehr arbeiten und danach nur noch zu 50 Prozent. Die Versicherung, welche der Studiensponsor abgeschlossen hatte, zahlte jedoch nichts. Der Grund: Dem Patienten gelang es nicht, den Zusammenhang zwischen dem Schaden und der Studie nachzuweisen.

Solchen Fällen begegnet Margrit Kessler immer wieder. «Eigentlich müssten wir Patienten raten, nie an einem Forschungsprojekt teilzunehmen», sagt die GLP-Nationalrätin und Präsidentin der Stiftung SPO Patientenschutz. Das Beispiel von Patient A. S. schildert sie in einem Brief an Bundesrat Alain Berset vom April 2013. Darin fordert sie eine Umkehr der Beweislast, wenn Probanden an einer klinischen Studie teilnehmen und dabei einen körperlichen Schaden erleiden. Es soll nicht mehr der Patient nachweisen müssen, dass er wegen der Studie an gesundheitlichen Schäden leidet, um finanziell entschädigt zu werden. Vielmehr müsste durch eine Beweislastumkehr die Versicherung die Abwesenheit eines Zusammenhangs zur Studie beweisen, wenn sie nicht zahlen will.

Dienst an der Gesellschaft

Kessler hat sich um Unterstützung aus Wissenschaft und Medizin bemüht. Ihren Brief an Berset haben 25 Personen unterschrieben. So auch die Juristin Franziska Sprecher, die sich unter anderem auf Medizin- und Gesundheitsrecht spezialisiert hat. «Heute wird im Rahmen der Information für Studienteilnehmer vorgegaukelt, dass ein Schaden in jedem Fall ersetzt wird. Wie schwierig es aber sein kann, zu einer Entschädigung zu kommen, wird in der Regel nicht erläutert», sagt die Juristin.

Sprecher ist der Ansicht, dass eigentlich eine grosszügige Regelung gelten müsste. «Wer bei Studien mitmacht, nimmt ein gesundheitliches Risiko in Kauf und tut damit einen Dienst an der Gesellschaft», sagt sie. Zudem seien die Firmen und Ärzte besser als Patienten in der Lage, einen Zusammenhang zwischen einem Schaden und einer Studie zu beurteilen. Sie würden die neu entwickelte Behandlung viel besser kennen, hätten das Fachwissen und in der Regel auch mehr Geld zur Verfügung. Margrit Kessler schildert einen weiteren Fall: Die 40-jährige Patientin B. K. erhält im Rahmen einer Studie eine Zwischenwirbel-Prothese implantiert. Diese drückt jedoch auf einen Nervenstrang und löst eine bleibende Lähmung des rechten Beins aus. Die dreifache Mutter muss ihre Teilzeitstelle als Pflegefachfrau aufgeben und kann den Haushalt nicht mehr selbstständig führen. Die Studienhaftpflichtversicherung zahlt trotzdem nicht.

«Wunden Punkt getroffen»

«Frau Kessler hat mit ihrer Forderung einen wunden Punkt getroffen», sagt Richard Herrmann, Leiter des Departements Klinische Forschung am Unispital Basel. Er hat Verständnis für das Anliegen der Patientenschützerin: «Patienten haben meist nicht die Kraft und den langen Atem, um sich bei den Versicherungen ihr Recht zu erstreiten.» Doch Herrmann ist der Ansicht, dass solche Fälle nur selten vorkommen. «Ich habe noch kein einziges Mal erlebt, dass ein Studienpatient Geld bei der Versicherung eingefordert hat», sagt er. Dass dies ein Hinweis auf hohe gesetzliche Hürden sein könnte, lässt Herrmann nicht gelten. «Man sollte nicht aufgrund von Einzelfällen Gesetze erlassen», sagt er.

Der Onkologe befürchtet, dass eine Umkehr der Beweislast zu einer Flut von Klagen führen würde. Es komme häufig vor, dass Patienten und Angehörige eine Verschlechterung des Gesundheitszustands automatisch der Studie oder der Behandlung zuschreiben. In vielen Fällen zu Unrecht, nämlich wenn die Krankheit selber zu der Verschlechterung führe. «Durch die Flut von Klagen müssten Versicherungen ihre Prämien nach oben anpassen, was die klinische Forschung abwürgen würde», warnt Herrmann. Er regt eine unabhängige Schiedsstelle für problematische Fälle an, die von Patientenschutz, Versicherungen und Ärzten anerkannt werden müsste. «Das würde unnötige Rechtskosten sparen.»

Patienteninformation anpassen

Eigentlich wollte Margrit Kessler, dass die Beweislastumkehr in die Verordnungen zum neuen Humanforschungsgesetz (HFG) aufgenommen würde. Dazu laufen letzte Anpassungen, über die der Bundesrat Mitte September befinden wird. Anfang 2014 sollen das Gesetz und die dazugehörigen Verordnungen in Kraft treten. Allerdings ist Kessler aus formalen Gründen zu spät. Für eine solche Änderung müsste das Gesetz geändert werden. Kessler möchte nun Druck aufbauen und dann nächstes Jahr im Parlament einen entsprechenden Vorstoss machen. «Ich war leider noch nicht im Parlament, als das Humanforschungsgesetz ausgearbeitet wurde», sagt Kessler.

Weitere Forderungen der Patientenschützerin könnten jedoch in die Verordnungen zum HFG einfliessen. Kessler will, dass Patienten vor einer Studienteilnahme darüber aufgeklärt werden, dass sie im Schadenfall selbst die umfassende Beweislast tragen, wenn sie eine finanzielle Entschädigung geltend machen wollen. Zudem solle den Patienten empfohlen werden, eine Rechtsschutzversicherung abzuschliessen.

Damit stösst sie beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) zumindest teilweise auf offene Ohren. «Die Patienteninformation, wie sie heute geschieht, sollte verbessert werden», sagt Michael Gerber, stellvertretender Leiter der BAG-Abteilung Recht. «Es reicht nicht, mehr oder weniger darauf hinzuweisen, dass eine Versicherung abgeschlossen wurde.» Ob eine entsprechende Verbesserung auf dem Verordnungsweg geschehen soll, kann Gerber nicht sagen. Auch nicht, ob auch eine Rechtsschutzversicherung empfohlen werden soll. «Da bin ich eher skeptisch», so Gerber.

(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

Erstellt: 27.07.2013, 15:23 Uhr


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