GEORG ALPERS Mannheimer Forscher über die Funktion von Angst und die aktuelle Sicherheitsdebatte
Mannheim. Nach der Kölner Silvesternacht und der Vergewaltigung am Mannheimer Wasserturm wächst die Sorge in der Bevölkerung. Schreckschusspistolen und Pfefferspray sind gefragt wie nie. Die Sorgen, so sagt Prof. Dr. Georg Alpers von der Uni Mannheim, könnten nicht als lapidar abgetan werden, sondern seien ernstzunehmen. Gleichzeitig warnt der Wissenschaftler vor einem Aufrüsten privater Haushalte, das neue Gefahren in sich berge. Alpers ist Lehrstuhlinhaber für Klinische und Biologische Psychologie und Psychotherapie.
Herr Professor Alpers, häufig wird gesagt, Angst habe evolutionsbedingt dem Menschen Vorteile verschafft: Sie kann bei Gefahrenlage die Sinne schärfen, damit der Mensch schnell reagieren kann, wenn es darauf ankommt. Stimmt diese Erklärung heute noch?
In der Psychologie ist diese Funktion der Angst gut erforscht und es gibt in der Tat gute Gründe anzunehmen, dass die Evolution es gut eingerichtet hat, dass wir auf Gefahrenreize schnell und effektiv reagieren können: sich zu wehren oder die Flucht anzutreten. In meiner Arbeitsgruppe an der Universität Mannheim haben wir in vielen Experimenten zeigen können, dass die Sinne in einer Angstsituation geschärft sind: Hören und Sehen funktionieren effektiver. Wir zeigen das in Wahrnehmungsexperimenten, bei denen emotional bedeutsame Reize leichter entdeckt werden oder deutlicher gesehen werden. Gleichzeitig kann Angst aber auch Schutzreflexe aktivieren. Im Labor messen wir die Geschwindigkeit, mit der der Schreckreflex ausgelöst wird, wenn sich Menschen in einer Bedrohungssituation befinden.
Was genau spielt sich im Gehirn eines Menschen ab, der er in Panik gerät?
Es gibt spezialisierte Netzwerke, aber nicht das eine „Furchtnetzwerk“ im Gehirn. Es gibt aber durchaus Areale im Gehirn, die spezialisiert sind, bedeutsame Situationen zu erkennen – auch, um schnelle Reaktionen zu gewährleisten.
Welche Regionen sind das?
In der Vergangenheit wurde häufig die Amygdala (der Mandelkern) im Limbischen System als Furchtzentrum tituliert. Das ist so nicht mehr haltbar. Heute sagt man, es ist das Zentrum, das die Bedeutsamkeit eines Umweltreizes verarbeitet. Besonders interessant sind unsere Befunde, dass bei emotionalen Reizen bereits die frühesten Verarbeitungsstufen – die also nicht die Bedeutung, sondern basale Reizeigenschaften (zum Beispiel Farbe oder Klang) verarbeiten – durch Feedbackschleifen stärker aktiviert werden.
Welche Ängste sind genetisch bedingt und welche haben wir erlernt?
Nicht alle Ängste kommen gleich häufig vor. Wir beobachten bei bestimmten Reizen starke Ausprägungen, also dass jemand durch seine Angst stark im Alltag eingeschränkt ist. Dazu zählt die Angst vor bestimmten Tieren, die zunächst irrational erscheinen mag: Wieso sollte jemand in unseren Breitengraden Angst vor einer Schlange oder einer Spinne haben? Nun, während einer bestimmten Phase der Evolution müssen diese Ängste einmal geholfen haben. Heute sind typische Auslöser Situationen der Enge, große Geschwindigkeiten aber auch Menschenmengen – weil diese Situationen auch potenziell bedrohlich sein können. Diese Ängste sind aber nicht angeboren – manche Auslöser oder Situationen werden nur leichter mit Angst verknüpft, wenn man mal eine schlechte Erfahrung gemacht hat. In meiner Arbeitsgruppe konnten wir zeigen, das auch einfache verbale Mitteilungen über mögliche Gefahren zu lang anhaltenden Ängsten führen können. Ängste entstehen also aufgrund einer bestimmten Anlage aber immer in Verknüpfung mit Erfahrungen, die wir selber machen oder Informationen, die wir von anderen erhalten.
Derzeit rennen viele Bürger nach der Silvesternacht in Köln den Waffenhändlern sprichwörtlich die Bude ein, diese kommen mit den Bestellungen gar nicht mehr nach. Ist es nicht eine trügerische Sicherheit, die sich die Käufer erhoffen?
Das ist sicher ein Beispiel dafür, wie sehr Informationen, die wir den Medien entnehmen, unser Verhalten beeinflussen können. Angenommen, dieser Trend festigte sich, dann wäre das schlecht für unsere Sicherheit insgesamt. Die bloße Verfügbarkeit von Waffen – und dazu zählt auch das Pfefferspray – führt häufiger zur Anwendung. Manchmal werden die Angreifer dabei verletzt, manchmal aber auch die Opfer einer Gewalttat. Ob man immer in der Lage ist, diese Mittel gezielt einzusetzen, sei dahingestellt. Außerdem lösen große oder kleine Waffenscheine keine sozialen Probleme.
Sind das erste Schritte der Amerikanisierung der Selbstverteidigungskultur?
Also, das wäre sicher zuviel gesagt. Schusswaffen sind zudem nochmal etwas ganz anderes als das, worüber wir gerade gesprochen haben. In den USA sind sich die Experten aber einig, dass die große Verfügbarkeit von Schusswaffen eine große Gefahr für die Bevölkerung darstellt, natürlich auch für die Waffenbesitzer.
Es gibt politische Strömungen, die sich bewusst der Ängste der Bürger bedienen. Interessant zu beobachten ist, dass beispielsweise rechte Strömungen besonders dort erfolgreich sind, wo es wenige Ausländer gibt. Warum ist das so?
Diese Frage können Politologen oder Soziologen besser beantworten. Es ist aber klar, dass mehr Wissen über einen Umstand oder einen Menschen, also mehr Vertrautheit, dazu beiträgt, Ängste zu reduzieren. Etwas, das uns unbekannt ist, führt leichter zur Verunsicherung – dazu kommen die vielen Medienberichte über Gewalt, die zusätzlich zu Angst führen können.
Tatsächlich ist es aber so, dass Gewaltdelikte – mit Ausnahme bestimmter Bereiche – auch in Mannheim zurückgehen, die Berichterstattung aber exponentiell zugenommen hat. Hinzu kommen die Beiträge in Sozialen Netzwerken.
Die geballte Verbreitung von Nachrichten kann den Eindruck über die tatsächlichen Wahrscheinlichkeiten verzerren. Es ist ja aber vollkommen nachvollziehbar, das momentan alle über dieses Thema berichten. Wenn ich an dieser Stelle auf die sexualisierte Gewalt zu sprechen komme, so ist es sehr gut dokumentiert, dass das größte Risiko eines Übergriffs im nächsten Umfeld eines Opfers am höchsten ist und weniger in einer fremden Situation. Angesichts der Berichterstattung nach den Übergriffen in Köln oder der Vergewaltigung in Mannheim klingt das zunächst widersprüchlich.
Haben Sie einen Rat – speziell für Mannheimerinnen – wie sie sich verhalten können?
Einfach zu sagen: „Lasst euch nicht verunsichern“ wäre zu salopp und würde der Situation nicht gerecht. Die Verunsicherung haben wir doch vor uns. Wir müssen diese Verunsicherung akzeptieren und lernen, dass emotionale Reaktionen nichts Abscheuliches oder Verdammenswertes sind. Es ist verständlich, dass solche Vorkommnisse starke Emotionen auslösen. Allerdings sollte man sich hüten, einfache Patentrezepte für bestimmte Verhaltensweisen zu geben…
…Stichwort „eine Armlänge Abstand“, wie dies die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker empfahl…
Wenn so etwas so knapp berichtet wird, ruft es verständlicherweise Empörung hervor. Das sind verkürzte, einfache Ratschläge, die weder helfen, mit Unsicherheit umzugehen, noch die tatsächliche Bedrohung reduzieren. Besonders Menschen, die durch Gewalt traumatisiert wurden, leiden ohnehin oft schon unter Selbstvorwürfen.
Sich selbst einzuschließen oder bestimmte Stadtviertel zu meiden, ist aber auch keine Lösung.
Im Zusammenhang mit den evolutionspsychologischen Erklärungen kann man verstehen, dass sich Angst auf mehr und mehr Auslöser ausbreiten kann. Dazu trägt vor allem Vermeidung bei, wenn sie die Angst reduziert. Wenn man bei sich selbst erkennt, dass man durch Ängste in der eigenen Lebensführung eingeschränkt ist, obwohl im eigenen Umfeld das Gefährdungspotenzial tatsächlich gering ist, sollte man Vermeidungsstrategien abbauen. Es ist besser, aktiv rauszugehen und am Leben zu partizipieren. Bei pathologischen Ausprägungen, bei denen ein hoher Leidensdruck entsteht, kann man auch therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, etwa in Form einer Verhaltenstherapie, die eine Konfrontation mit den eigenen Ängsten beinhaltet.
Das Interview führte André Heuwinkel