Erstaunlich ist die Selbstverständlichkeit, mit der im Krankenhaus häufige und lange Wartezeiten als gegeben hingenommen werden.
Warten ist nicht nur zeitraubend, sondern auch unangenehm, frustrierend, entnervend und teuer (1). Warten ist ein Zustand der unfreiwilligen Untätigkeit, der durch Fremdbestimmung dominiert wird. Für den Wartenden ist es Zeit ohne Wertschöpfung, oder mit anderen Worten: verschwendete Zeit. Im Gesundheitswesen ist Warten ein nahezu ubiquitäres Phänomen (2). Im Krankenhaus warten Patienten auf einen Aufnahmetermin, ein Bett, Ärzte, Pflegekräfte, Transportdienste, Bildgebungen, Laborwerte, Funktionsuntersuchungen, Operation und schließlich die Entlassung. Wartezeiten gibt es häufig, und sie sind allzu oft unnötig lang (3). Die Zeit, die vom Patienten am höchsten geschätzt wird, die ärztliche Zuwendung, beträgt oft nur einen Bruchteil der Wartezeit. Dabei ist die Selbstverständlichkeit erstaunlich, mit der im Gesundheitswesen häufige und lange Wartezeiten als gegeben hingenommen werden.
Die Psychodynamik des Notfallgeschehens macht das Warten in der Notaufnahme besonders belastend. Während sich ein Notfall somatisch oft in Form von Schmerzen äußert, ist seine psychische Ausprägung die Angst. Bis zu 70 Prozent der Patienten in der Notaufnahme haben Schmerzen (4, 5), und der Anteil der Menschen, die mehr oder weniger offen mit Angst in die Notaufnahme kommen, ist noch höher. Die Angst der Notfallpatienten korreliert dabei nicht mit der realen, sondern eher mit der angenommenen Gefahr.
Belastend für die Patienten
Unabhängig davon, ob es sich um einen objektiv vorliegenden oder einen subjektiv angenommenen Notfall handelt, nimmt die Angst mit der Wartezeit zu. Angst kann Warten sehr unangenehm und belastend machen und dazu führen, dass die Wartezeit als länger empfunden wird. Angst verändert aber nicht nur das Erleben der Wartezeit, sondern auch das soziale Verhalten. Ebenso wie Schmerz fokussiert Angst die Wahrnehmung des Patienten auf sich selbst. Andere Menschen geraten aus seinem Wahrnehmungsfeld, selbst wenn deren Gesundheitsstörung oder Gefährdung wesentlich größer ist.
Wartezeiten in der Notaufnahme sind aber nicht nur belastend für den Patienten, sondern können auch zu einem schlechteren Behandlungsergebnis führen. Notfallmedizinische Behandlungen sind häufig zeitkritisch und entfalten ihre beste Wirkung, wenn sie frühzeitig durchgeführt werden. Dies gilt besonders bei schweren Erkrankungen und Verletzungen (zum Beispiel Hebungsinfarkten, Schlaganfällen, Schädel-Hirn-Traumata). Aber auch bei weniger schweren Erkrankungen, zum Beispiel Lungenentzündungen, führt ein früherer Therapiebeginn in der Notaufnahme zu einem besseren Behandlungsergebnis (6).
Die Wartezeit ist neben Freundlichkeit, Schmerzbekämpfung, Information und technischer Kompetenz einer der wichtigsten Faktoren, der die Zufriedenheit der Patienten mit der Notaufnahme bestimmt (7, 8). Dabei ist nicht die tatsächliche, sondern die wahrgenommene Wartezeit entscheidend (8, 9). Von besonderer Bedeutung ist die Wartezeit bis zum ersten Arztkontakt (7, 10). Studien zufolge werden Wartezeiten über 30 Minuten als „sehr unangenehm“ empfunden und führen zu einem deutlichen Absinken der Patientenzufriedenheit (7, 11). Hinzu kommt, dass wartende Patienten in der Notaufnahme durch ihre zunehmenden Versuche, Kontakte mit den Mitarbeitern aufzunehmen, auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter der Notaufnahme negativ beeinflussen (12).
Wartezeiten in der Notaufnahme wirken sich auch negativ auf die Außendarstellung einer Klinik und damit deren Attraktivität aus. Derzeit gelangt fast die Hälfte aller Patienten eines Krankenhauses über die Notaufnahme in die stationäre Behandlung (13). Damit ist die Notaufnahme die mit Abstand größte Eintrittspforte einer Klinik für stationäre Patienten. Lange Wartezeiten schrecken Patienten ab und stellen einen Wettbewerbsnachteil dar. Damit erlangen Wartezeiten auch eine strategische Bedeutung.
Psychologie des Wartens
Die Länge der Wartezeiten wird von den Wartenden häufig überschätzt; sie ist tatsächlich oft kürzer, als sie subjektiv empfunden und angegeben wird (14). Daher sind nicht nur tatsächliche Wartezeiten von Bedeutung, sondern auch die Empfindungen während des Wartens. Die grundlegenden Erkenntnisse der Psychologie des Wartens wurden erstmals von David H. Maister beschrieben und seither mehrfach bestätigt (15, 16, 17). Einer dieser Grundsätze besagt, dass Menschen eine Wartezeit besser tolerieren, wenn zu Beginn ein Ereignis auf sie einwirkt, mit dem sie sich wahrgenommen fühlen. In der Gastronomie ist es daher üblich, dass ein Gast sofort begrüßt und nach ersten Wünschen gefragt wird. In Kliniken ist es dagegen nicht ungewöhnlich, dass Patienten zunächst ohne Beachtung in einer Warteschlange auf eine Aufnahme warten müssen.
Maister beschreibt weiter, dass Gefühle wie Angst, Schmerzen oder Unsicherheit Wartezeiten unangenehm und subjektiv länger erscheinen lassen. Dies trifft in besonderem Maße auf Patienten der Notaufnahme zu und ist einer der Gründe, warum ihre Angst in Ärger umschlägt, wenn sie länger warten müssen, als ihnen angemessen erscheint (12). Eine zusätzliche Belastung kann die Ungewissheit über Art und Schwere der Gesundheitsstörung sein, verbunden mit der Ungewissheit, wie lange das Warten noch dauern wird. Wartezimmer, in denen Ereignislosigkeit vorherrscht, sind daher nicht nur aus Gründen der Patientensicherheit eine der ungünstigsten Orte, an denen Notfallpatienten warten sollten.
Ein weiterer Grundsatz der Psychologie des Wartens ist, dass Menschen sehr ungehalten werden können, wenn sie der Meinung sind, länger als andere warten zu müssen. Denn in der Regel wird nur ein Warten in der Reihenfolge des Eintreffens als gerecht und Abweichungen davon als sehr ungerecht empfunden. Dies erklärt, warum viele Patienten in der Notaufnahme aufgebracht reagieren, wenn sie das Gefühl haben, dass andere Patienten vorgezogen werden. Ihnen ist oft nicht vermittelbar, dass ihre Mitpatienten gegebenenfalls wesentlich schwerer krank sind oder von anderen Ärzten behandelt werden. Wartezeiten können aber daraus resultieren, dass Patienten länger auf den Behandlungsplätzen in der Notaufnahme verbleiben, weil zunächst kein Bett auf Station zur Verfügung steht. Für neu eintreffende Notfallpatienten stehen dann keine Behandlungsplätze mehr zur Verfügung.
Problem mehr untersuchen
Die Unzufriedenheit mit einer Wartezeit ist umso größer, je leichter erkrankt oder verletzt die Wartenden sind (18). Die Ursache liegt darin, dass Menschen der Wartezeit den Wert gegenüberstellen, den sie für das Warten erhalten. Für schwerkranke Patienten ist das Verhältnis zwischen Behandlungsgewinn und Wartezeit besser als etwa für Leichtverletzte, die wegen einer geringen Verletzung länger warten müssen und nur einen geringen Behandlungsgewinn haben.
Ein letzter, jedoch wichtiger Grundsatz der Psychologie des Wartens weist darauf hin, dass das Warten alleine viel unangenehmer und subjektiv empfunden länger ist als das Warten in Begleitung. Dies, verbunden mit der Angst reduzierenden Wirkung einer begleitenden vertrauten Person, ist einer der Gründe, warum Patienten und Angehörige in der Notaufnahme nicht getrennt werden sollten. Dies gilt nicht nur für Kinder, sondern für jedes Lebensalter.
Viele Faktoren, die zur Entstehung von Wartezeiten in Notaufnahmen führen, sind einer Einflussnahme grundsätzlich zugänglich. Neben einer an das Patientenaufkommen angepassten Ressourcenvorhaltung existiert im Rahmen des Operationsmanagements eine Reihe weiterer Ansätze, die die Wartezeiten in Notaufnahmen reduzieren – so zum Beispiel die Einführung einer Triage, die Einrichtung eines Fast Tracks für Leichtverletzte und Leichterkrankte oder das sogenannten First-View-Konzept, nach dem der erfahrenste Arzt die Patienten zuerst und möglichst früh nach ihrem Eintreffen sieht.
Die Verkürzung der Wartezeit allein führt oft jedoch noch nicht zu einer Verbesserung der Patientenzufriedenheit. Ebenso wichtig ist es, die verbleibende Wartezeit so zu gestalten, dass sie als weniger belastend empfunden wird. An dieser Stelle setzt das sogenannte Perzeptions-Management an, das sich dazu verschiedener Maßnahmen, wie etwa Schmerzbekämpfung, Angstreduktion, Gestaltung der Wartezeit oder Trennung der Patientenströme, bedient.
Angesichts der großen Bedeutung von Wartezeiten im Gesundheitswesen ist dieser Sachverhalt in Deutschland vergleichsweise wenig wissenschaftlich untersucht. Warten im Supermarkt (16), Fastfood-Restaurant (19), Luftverkehr (20) oder auch auf Amtsfluren (21) erfuhr deutlich mehr akademische Aufmerksamkeit, obwohl dort die Faktoren Angst, Schmerzen und Patientensicherheit fehlen. Insbesondere die Datenlage zum Warten in den deutschen Notaufnahmen ist sehr limitiert. Die Belastung durch das Warten dort kann jedoch mit vergleichsweise einfachen Mitteln objektiv und subjektiv reduziert werden.
Dr. med. Thomas Fleischmann
Interdisziplinäre Notaufnahme, HELIOS Klinikum Salzgitter, thomas.fleischmann@helios-kliniken.de
Nadja Amler
Prof. Dr. rer. pol. Oliver Schöffski
Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement
Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3914
oder über QR-Code