Nostalgie: Die Wärme der Erinnerung

Psychologen ergründen das menschliche Wesen mit ungewöhnlichen Versuchsanordnungen. Diesmal geht’s um Nostalgie von Claudia Wüstenhagen

Plätzchen backen - auch eine nostalgische Erinnerung an Weihnachten  |  © Francesca Schellhaas/photocase.de

Ehrlich gesagt, war Weihnachten auch als Kind nicht immer das reine Vergnügen. Welche Dramen sich da abspielen konnten! Wenn die selbst geformten Salzteigfiguren aus ästhetischen Gründen nicht am Weihnachtsbaum hängen durften. Wenn die große Schwester geschenkt bekam, was man sich selbst gewünscht hatte. Wenn Vater und Großvater in Streit ausbrachen oder der festliche Tag mit erbrochenem Rotkohl endete. Und doch war Weihnachten als Kind so schön, wie es nie wieder sein wird. Selbst das nervenzehrende Warten vor der Bescherung, die Familienaufstellung am Klavier – im Rückblick erscheint alles golden. Früher, da gab es mehr Zauber, auch mehr Geschenke und den festen Glauben, dass jedes von ihnen das Leben für immer verbessern würde.

Weihnachten ist die Zeit der Nostalgie. Wir sehen Holzengel, Kerzen und Tannenzweige und schwelgen in Erinnerung, und dabei wird uns ganz warm ums Herz – so sagt man. Und das ist nicht nur so dahingesagt: Sentimentale Gedanken an vergangene Zeiten haben tatsächlich physische Auswirkungen. Sie verändern die Körperwahrnehmung. Darauf deutet zumindest die Studie einer internationalen Forschergruppe um die Chinesin Xinyue Zhou und den Niederländer Ad Vingerhoets hin. Den Psychologen war aufgefallen, dass Menschen häufiger an kalten Tagen und in kühlen Räumen über nostalgische Gedanken und Gefühle berichteten. Das brachte sie auf eine Idee: Ist Nostalgie womöglich eine Art Heizung für harte, kalte Zeiten?

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Das experimentelle Prozedere begann harmlos: Im ersten Versuch durften die Probanden Musik hören, mal mehr, mal weniger Herzschmerz-intensiv. Da es sich um Niederländer handelte, wurde ihnen unter anderem der rührselige Schlager
Het Dorp
("Das Dorf") des Sängers Wim Sonneveld vorgespielt. Hinterher sollten sie angeben, ob ihnen warm oder kalt sei. Bei einem zweiten Experiment bat man die Versuchspersonen, sich an ein besonders schönes oder neutrales Erlebnis zu erinnern. Dann mussten sie die Temperatur im Laborraum schätzen. Beide Experimente kamen zu ähnlichen Resultaten: Wer während des Versuchs – durch Musik oder Erinnerungen – in Nostalgie badete, fror weniger und schätzte die Raumtemperatur im Schnitt um zwei Grad höher ein als andere Teilnehmer. Es schien, als hätte die Kraft der sentimentalen Gedanken Wärme erzeugt.

Dieser Text stammt aus dem ZEIT Wissen 1/2015, das online oder am Kiosk erhältlich ist.

Dieser Text stammt aus dem ZEIT Wissen 1/2015, das online oder am Kiosk erhältlich ist.

Die Forscher machten eine letzte Probe aufs Exempel, und diesmal unterzogen sie ihre Probanden einer kleinen Tortur: Wieder sollten diese an schöne oder an neutrale Erlebnisse denken, diesmal mussten sie danach aber eine Hand in kaltes Wasser halten. So lange wie möglich, bei einer Temperatur von wenigen Grad über dem Gefrierpunkt. Wer das noch nicht probiert hat, dem sei gesagt: Es ist mit der Zeit ziemlich schmerzhaft. Die Probanden sollten leiden. Wieder zeigte sich die Macht der Gefühle: Wer nostalgischer Stimmung war, hielt tapferer durch – im Schnitt sechs Sekunden länger. Nostalgie, folgern die Forscher, ist ein Schutzschild des körperlichen Wohlbefindens. Sie bekämpft Kälte. Weihnachtliche Sentimentalität passt also wunderbar in den Winter. Jacke und Mütze ersetzt sie jedoch nicht. 

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