Als Terrie Moffitt, Psychologin der Duke University, vor einiger Zeit im Flugzeug mit ihrem Sitznachbarn ins Gespräch kam, erzählte sie ihm, sie erkunde, wie Selbstdisziplin in ganz frühen Jahren das spätere Leben beeinflusse. „Das tun wir auch“, entgegnete der Mitreisende, der für einen Lebensversicherer arbeitete: „Wir benutzen dafür den ,Credit Score‘“, die Messzahl, in der alle Daten über die Kreditwürdigkeit einer Person zusammenfließen: Wie viel Geld hat er? Hat er Schulden? Bezahlt er Rechnungen pünktlich etc.?
Entwickelt wurde die vom Geldgewerbe, das über die Bonität seiner Kunden Bescheid wissen wollte, genutzt wird sie inzwischen viel breiter, von Personalchefs, Vermietern, Vergebern von Stipendien. Die Breite der Nutzung ist von Land zu Land unterschiedlich, je nach Datenschutzgesetz. Das in Neuseeland ist eher restriktiv, aber dort läuft seit 1972 die Dunedin Longitudinal Development Study, die das Leben von 1037 in jenem Jahr dort Geborenen seitdem in allen Details dokumentiert. Unter anderem wird auch die Gesundheit des Herzens erhoben, man rechnet die um in Jahreszahlen.
Dabei zeigt sich ein breites Spektrum: Manche der zum Untersuchungszeitraum allesamt 38-jährigen hatten ein „Herzalter“ von 22 Jahren, andere eines von 85. Diese Zahlen hat Moffitt mit den jeweiligen Credit Scores verglichen, sie fand einen frappanten Zusammenhang: „Es läuft alles darauf hinaus, dass Leute, die nicht sorgsam mit ihrem Geld umgehen, es auch mit ihrer Gesundheit nicht tun“, fasst Moffitt zusammen (Pnas, 17.11.).
Kapital und Humankapital
Aber wie hängt das zusammen? Hat vielleicht ein Schicksalsschlag wie der Verlust des Arbeitsplatzes die Finanzen und die Gesundheit gleichermaßen ruiniert? Oder ist es schlicht eine Armutsfalle, aus der einer nicht herauskommt und die ihn auch daran hindert, in ein gesundes Leben zu investieren? Beides hat Moffitt geprüft, und beides spielt auch mit, aber nur am Rande (zumindest in Neuseeland, das eher gehobene soziale Sicherheit bietet, in den USA könnte es anders aussehen). Im Kern geht es um etwas ganz anderes, um das, was die Psychologie, seltsam genug, „Humankapital“ nennt. Darunter werden die kognitiven Fähigkeiten – kurz: der IQ – und verschiedene Charaktereigenschaften zusammengefasst, die Fähigkeiten zu Selbstdisziplin und Planung vor allem.
Die alle werden in der Kindheit entwickelt, oder eben nicht. Und sie stehen im Credit Score, aus dem man eben auch die Gesundheit herauslesen kann und – die Kindheit: „,Credit Scores ermöglichen einen Blick in die Zukunft und in die Vergangenheit“, erläutert Ko–Autor Avshalom Caspi. Damit haben die Forscher nicht nur Freude: „Wir vermuten, dass die Bürger nicht wissen, in welchem Grad Credit Scores Einblick in private und sensible Bereiche ermöglichen. Individuen, die gegenüber einer Versicherung nie in einen IQ- oder Persönlichkeitstest einwilligen würden, geben diese Informationen ganz ahnungslos, wenn sie Zugang zu ihren ,Credit Scores‘ gewähren.“ Das gilt natürlich nicht nur für Versicherungen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2014)