Magdeburg/Ballenstedt. In Sachsen-Anhalt soll der Einsatz eines Frühwarnsystems zur Verhinderung von Amokläufen beraten werden. Die Schulpsychologen des Landes wollen dies auf einem Treffen im Dezember besprechen, wie eine Sprecherin des Kultusministeriums am Freitag sagte. Bei dem Frühwarnsystem handelt es sich um ein Computerprogramm, das vom Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt entwickelt wurde. Nach Angaben des Institutsleiters Jens Hoffmann kann es helfen, Fälle wie den versuchten Amoklauf einer 13-Jährigen an einer Schule in Ballenstedt zu verhindern.
Die Hintergründe der Tat vom Mittwoch sind weiterhin unklar. Die Polizei befragte am Freitag erste Mitschüler des Mädchens. Fünf Ermittler seien in der Schule gewesen, um herauszubekommen, ob jemand von den Plänen der Schülerin wusste, teilte ein Sprecher der Polizei in Halberstadt mit. Am Wochenende sollten weitere Jugendliche befragt werden. Die Ermittler hoffen auf Hinweise zu den Hintergründen der Tat, die das Mädchen per SMS und im Internet angekündigt hatte.
Die 13 Jahre alte Schülerin der 8. Klasse befindet sich seit dem versuchten Amoklauf in einem psychiatrischen Krankenhaus und konnte nach Angaben der Polizei noch nicht befragt werden. Das könne auch noch einige Zeit dauern, sagte ein Polizeisprecher. Dafür müssten die Ärzte erst zustimmen. Die Ermittler vermuten, dass Probleme zu Hause eine Rolle spielen könnten. Die Eltern lebten in Trennung.
Das Mädchen war am Mittwochmorgen mit vier Messern und einer Axt bewaffnet in die Schule im Harz gegangen. Im Erdgeschoss legte sie zwei Brände, anschließend ging sie mit einem Messer auf einen Mitschüler los. Mitarbeiter der Schule und die Polizei konnten Schlimmeres verhindern. Verletzt wurde niemand.
Um solche Fälle zu verhindern, haben Psychologen vom Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt das Frühwarnsystem entwickelt. Mit dem Computerprogramm könne eingeschätzt werden, ob ein Schüler es mit einer Gewalttat tatsächlich ernst meine oder bloß drohe, sagte Hoffmann. „Der Fall in Ballenstedt hätte damit vermutlich frühzeitig erkannt werden können und den Beteiligten die Gelegenheit gegeben, gegenzusteuern.“
Das „Dynamische Risiko-Analyse-System“ könne immer dann eingesetzt werden, wenn ein Schüler Warnsignale aussende. Dazu zähle, dass jemand Waffen zeige, Lebenskrisen habe oder große Verzweiflung offenbare, Suizidabsichten äußere oder sich etwa mit anderen Gewalttätern beschäftige oder gar identifiziere.
Falle ein Schüler auf, würden Informationen über ihn anhand von Fragen mit den Warnsignalen wirklicher Amokläufe verglichen. Die Software verknüpfe Risikomerkmale miteinander, ermögliche eine Gewichtung und eine bessere Analyse der Situation, erklärte Hoffmann. „Es werden sehr viele Drohungen ausgesprochen. Meist ist das Risiko gering. Es ist daher wichtig, die Fälle zu bewerten, um Überreaktionen zu vermeiden.“
Nach Angaben von Hoffmann wird das Computerprogramm von Schulpsychologen, Krisenteams, Polizei und Psychiatern eingesetzt, in Deutschland bereits an 50 Orten. Nach Angaben des Kultusministeriums in Magdeburg wurde die Entscheidung, den Einsatz des Systems in Sachsen-Anhalt zu beraten, vor dem Vorfall in Ballenstedt getroffen.
Hoffmann betonte, dass das Programm allein nicht ausreiche, um einen Amoklauf zu verhindern. „Es bedarf einer gewissen Sensibilität aller Beteiligten.“ Die Lehrer müssten für Warnsignale geschult sein und dafür sorgen, dass an der Schule offen über Krisen oder Gewaltandrohungen gesprochen werde. Zudem sollte es eine Vernetzung zu Schulpsychologen und der Polizei geben.