Marina Weisband: Die kreative Piratin vom Hansaring – Bocholter

Weisband: Dass ich eigentlich kein Interview gebe. Die Arbeit mach ich trotzdem. Ich kann mir nicht leisten, zwei Wochen wegzugehen.

Sie waren gerade bei Harald Schmidt. Viel Ehre für eine 24-Jährige?

Weisband: Seltsam, dass ich soviel Bühne kriege. Es sind wahnsinnig hohe Erwartungen von den Piraten an mich gerichtet. Möglicherweise werde ich denen nicht gerecht. Andererseits ist es eine unglaubliche Erfahrung, dass man Dinge ändern kann.

Sie kamen als Sechsjährige aus der Ukraine. Wie stehen Sie zu Sprachen?

Weisband: Ich spreche Deutsch, Russisch, Englisch ungefähr auf gleichem Niveau. Zuhause sprechen wir nur Russisch, wir durften kein Deutsch benutzen, damit wir Russisch nicht verlieren. Das ist sehr wichtig, wenn man migriert.

Sie studieren, sind Bundesgeschäftsführerin der Piraten. Wie schafft man das?

Weisband: Ich habe extrem wenig Zeit. Das hatte ich früher schon. Da habe ich Tango getanzt, Theater gespielt - das habe ich für die Piraten aufgegeben. Aber, wenn man Dinge mit Leidenschaft tut, fallen sie leicht.

Wie viel Zeit brauchen Sie für Ihr Amt?

Weisband: Im Moment 60 Stunden in der Woche, mit vielen Interviews, viel interner Arbeit. Das lastet mich voll aus, deshalb weiß ich nicht, ob ich nächstes Jahr wieder kandidieren kann. Es ist schwer, das ehrenamtlich zu machen. Es gibt kein Gehalt, ich bekomme Reisespesen - und 20 Euro für die Übernachtungen . . .

Die Medien mögen Sie, weil Sie als Frau nicht zum Typus des Piraten passen.

Weisband: Das einzig Beschwerliche an meinem Job ist der Auftritt in den Medien. Wir sind keine Männerpartei, obwohl es alle behaupten.

...weil alle denken, Computer sind Männersache...

Weisband: Das ist das Problem unserer Gesellschaft. Frauen werden durch solche Aussagen entmutigt. Wir haben viele Frauen, sie werden in den Medien verleugnet.

Sie twittern gerne. Macht man sich da nicht zur durchsichtigen Person?

Weisband: Ich bin eine sehr öffentliche Person. Und darauf angewiesen. Ich brauche die Hilfe, das Feedback meiner Partei und anderer Bürger. Ich führe das Experiment durch, wieweit man sich formen lassen kann, wie transparent man seine Arbeitsweise gestalten kann.

Wo sind Sie noch privat?

Weisband: Die beste Möglichkeit, ein Geheimnis zu verstecken, ist, möglichst viel anderes öffentlich zu machen. Es gibt Bereiche, die gehören nur mir und meinem Partner.

Wo sehen Sie als Migrantin die Herausforderungen unserer Gesellschaft?

Weisband: Was mir am stärksten ins Auge stößt, ist das Bildungssystem. Man verschult immer mehr, versteht immer weniger. Das war in ukrainischen Schulen anders. In Deutschland will man alles in Kategorien stecken, für alles muss es Regeln geben. Man ist sehr vorsichtig damit, Menschen Freiheiten zu geben.

Wie haben Sie Schule in der Ukraine erlebt?

Weisband: Als ich nach Deutschland kam, konnte ich lesen, schreiben, Aufsätze schreiben und ein bisschen Englisch. Man hat Unterricht im Kindergarten. In Deutschland ist es sehr schwierig, ein guter Schüler zu sein. Dann ist man ein Streber und wird ausgelacht. In der Ukraine ist man angesehen, wenn man gute Noten schreibt. Ich hatte gute Noten - und es in der Schule sehr schwer.

Was hat Sie zu den Piraten geführt?

Weisband: Der Stil. Wenn man die Nachrichten sieht, muss man sagen, Politik ist etwas unglaublich Langweiliges. Das machen alte, weiße Männer in Anzügen. Die Piraten hatten ein anderes Auftreten. Um in der klassischen Politik weiterzukommen, braucht man Vitamin B. Das ist etwas, das man als Migrant nicht hat - keine alten Verbindungen, keine reichen Freunde. Die Piraten sind per Internet, per Twitter ganz leicht erreichbar. Als ich dabei war, hatte ich sofort das Gefühl, man hört zu.

Wo sind Sie in zehn Jahren?

Weisband: Ich habe mir abgewöhnt, in die Zukunft zu sehen, weil ich nie gedacht hätte, dass ich mit 24 Jahren in der Harald-Schmidt-Show sitzen würde.

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