"Man kann nicht zwei Leben in eins packen" – Rhein

"Man kann nicht zwei Leben in eins packen"

Florian Opitz. Foto: Dreamer Joint VentureFlorian Opitz. Foto: Dreamer Joint Venture

Von Kirsten Kieninger

Er hat in Heidelberg und Köln Geschichte, Psychologie und Englisch studiert. Für seinen Dokumentarfilm "Der große Ausverkauf" über Privatisierung und ihre Folgen wurde er 2009 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. In "Speed - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" hinterfragt Florian Opitz nun die beschleunigte Gesellschaft. Als er zum Interview eintrifft, muss er schnell sein Handy an die Steckdose hängen, hat dann aber viel Zeit für das Gespräch.

Machen Sie jetzt eine entschleunigte Kino-Tour?

Ja, das ist ein kleiner Widerspruch. Auf der Kino-Tour bin ich insgesamt fast drei Wochen unterwegs, jeden Tag in einer anderen Stadt. Die Tage sind extrem vollgestopft: Ich gebe viele Interviews und muss dazwischen immer noch von A nach B fahren. Entschleunigt ist das nicht, nein.

Haben Sie etwas mitgenommen von der intensiven Beschäftigung mit dem Thema?

Auf jeden Fall! Dadurch, dass ich diesen Film gemacht habe, bin ich zwar kein anderer Mensch geworden, aber ich habe mir ein paar Sachen abgeguckt von meinen Protagonisten. Ich versuche, das in meinem Alltagsleben so gut es geht zu beherzigen. Das geht natürlich nicht immer. Ich bin ja - deswegen habe ich mich ja auch als Subjekt gewählt, dem der Film folgt - Inbegriff dieses gehetzten Menschen. Als freiberuflicher Filmemacher ohne Netz und doppelten Boden, der an Deadlines gebunden ist, der sich immer wieder neu erfinden muss. Eine Sache beherzige ich aber sehr: Man kann nicht zwei oder drei Leben in eins packen. Man muss sich entscheiden und ein Leben leben.

Was war Ihr Ausgangspunkt für den Film?

Ich hatte dieses diffuse Gefühl, dass ich nie Zeit für das habe, was ich eigentlich machen will; das Gefühl, ich tue immer mehr, schaffe aber immer weniger, insbesondere nicht die Dinge, die mir wichtig sind. Ich habe mich gefragt: Ist das ein Altersphänomen? Eine Midlife-Crisis mit Mitte 30? Oder ist das ein gesellschaftliches Phänomen?

Das köchelte eine Weile in mir. Dann sind drei einschneidende Erlebnisse passiert: Bei einer Recherchereise in Nigeria wurden mein Kameramann und ich vom Geheimdienst verhaftet. Wir sollten der Spionage angeklagt werden. Drei Monate lang war nicht klar, ob wir da rauskommen, es drohten 14 Jahre Haft. Dann ist mein Vater gestorben. Und schließlich ist mein erster Sohn geboren worden.

Diese existenziellen Erlebnisse haben mich fragen lassen: Machst du das richtig mit deinem Leben?

Verstehen Sie sich als politischen Filmemacher?

Absolut.

Was ist politisch am Thema Zeit?

"Speed - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ist kein Film über die Zeitnot von Florian Opitz, sondern ein Film über den beschleunigten Kapitalismus, seine Auswüchse und die Möglichkeiten, wie man dem vielleicht entkommen kann. Oder ein Anstoß, über Alternativen nachzudenken.

Muss sich das System erst totlaufen, bevor es eine Lösung gibt?

Der nächste Film, den ich machen will, schließt genau da an. Weil ich ja so großspurig sage: Wir müssen endlich nachdenken, wir müssen diesen Alternativen eine Chance geben. Um genau diese Alternativen soll es im nächsten Film gehen. Was ist - wie z.B. das bedingungslose Grundeinkommen - schon gedacht worden? Welche Varianten und politischen Lösungen gibt es noch? Ich will mich nicht damit abfinden, einfach zu sagen, dass diese Gesellschaft eben so ist, wie sie ist und weiter beschleunigt wird.

Sie haben gleichzeitig zur Fertigstellung des Films ein Buch über das Thema geschrieben. War die Idee wirklich so effizient umsetzbar, wie sie klingt?

Für diesen Buchauftrag habe ich mich verflucht. Ich habe gedacht, ich schneide in der Woche drei Tage und schreibe zwei am Buch. Das hat natürlich nicht geklappt. Ich habe nicht angefangen, bis irgendwann der Verleger sagte: letzter Termin! Dann habe ich es in zwei Monaten geschrieben. Meine Frau war hoch- schwanger, sie hat das Projekt natürlich verflucht. Ich habe ihr geschworen, dass ich fertig bin mit dem Buch, wenn das Kind kommt. Und es war wirklich so: Ich habe die letzte Seite geschrieben, und am nächsten Tag wurde das Kind geboren.

Haben Sie inzwischen eigentlich mal digital gefastet?

Ich finde es mitunter total angenehm, das Handy auch mal zu Hause zu lassen. Es geht ja eigentlich um dieses Sich-bewusst-werden. Dass man eben nicht sofort jede Minute guckt: Ist was gekommen, das ich beantworten muss?

Info: Film im Gloria, Heidelberg. Das gleichnamige Buch ist im Riemann Verlag erschienen, 288 S., 17,95 Euro; ab 8.10. auch als Taschenbuch, Goldmann Verlag, 9,99 Euro.

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