Aller Anfang ist schwer. Doch manchen fällt er besonders schwer: Ungefähr 15 Prozent der Kinder in Österreich können schlecht lesen und schreiben. Lese-Rechtschreibschwäche nennt es die Psychologie. Solche Kinder verlieren mit der Zeit sehr oft die Lust zu lernen, haben keine Erfolgserlebnisse in der Schule mehr, gelten plötzlich als verhaltensauffällig, kurzum: Sie sind verzagt.
Jüngste Forschungen am Institut für Psychologie der Karl-Franzens-Universität Graz zeigen, dass richtiges Training nicht nur die Rechtschreibfähigkeit und das Leseverständnis verbessern, sondern sogar zu positiven Veränderungen im Gehirn führen kann. "Das Gehirn vernetzt sich mehr, man könnte sagen, es baut sich um. Das Problem wird an der Wurzel gepackt", sagt der Psychologe und Gehirnforscher Andreas Fink. Das Training der zehnjährigen Schüler dauerte fünf Wochen. "Die Kinder haben gar nicht richtig gemerkt, dass sie büffeln. Unser Programm Morpheus soll ja auch Spaß machen", sagt Fink. Ihre Übungen vollführten sie in einem Magnetresonanztomographen, der Gehirnmuster aufzeichnet. Das Trainingsprinzip: Ein Wort soll nicht im Ganzen, sondern in seinen Einzelteilen begriffen werden. So ein Einzelteil nennt man Morphem, die kleinste Einheit eines Wortes. "Die Kinder lernten dabei die Schreibweise von Wörtern abzuleiten", erklärt Daniela Gebauer, die darüber ihre Dissertation schrieb.
Die Kinder erhielten ihre Aufgaben aus dem Alltagswortschatz. Beispiel: ver-fahr-en. Dieses Wort versteht aus der Vorsilbe ver-, dem Wortstamm -fahr- und der Nachsilbe -en. Die Vorsilbe ver- schreibt man immer mit V, und den Wortstamm -fahr- immer mit stummem H. "Wenn die Kinder das einmal kapiert haben, können sie damit auch jedes andere ähnliche Wort schreiben, zum Beispiel Fahrschein oder Vertrauen", sagt Fink.
Die Forscher entdeckten, dass beim Training nicht (nur) die linke Gehirnhälfte aktiv war, die normalerweise für das Lesen und Schreiben zuständig ist. Es war bei den Kindern mit Lernschwäche eine bemerkenswert hohe punktuelle Aktivität in der rechten Gehirnhälfte zu sehen, die für Intuition und Kreativität steht.
Das dürfte ein Anzeichen dafür gewesen sein, dass die Kinder sich im Geist ein Wort vorgesagt haben, um ihr Defizit beim Schreiben auszugleichen, erklärt Gebauer. Der Effekt war: Sie schrieben "Lera" statt "Lehrer". Das sei im Laut korrekt, orthografisch aber falsch.
Nach fünf Wochen lasen und schrieben die Kinder nicht nur besser, auch ihre rechte Gehirnhälfte war mehr vernetzt, was man an den zahlreichen Verästelungen der Gehirnströme ablesen konnte. Insgesamt wurde der Denkprozess im Gehirn angeregt. "Eltern empfehle ich die Internetseite vom Unterrichtsministerium, wo man empirisch gesicherte Trainingstipps für Lese- und Rechtschreibschwäche finden kann", sagt Fink. Den nächstbesten Lese- oder Rechtschreibtest im Buchhandel zu kaufen, sei nur teuer. "Kinder werden dabei oft dressiert, Worte und ihre Rechtschreibung auswendig zu lernen. Aber sie begreifen nicht die innere Struktur eines Wortes. Das ist übrigens auch der Grund, warum man solche Lernschwächen bei Schülern nicht gleich merkt, weil sie ihr Nichtverstehen mit Auswendiglernen kompensieren. Man merkt es aber dann bei Schulstufenübergängen, am auffälligsten zwischen Volks- und Haupt- oder Mittelschule", sagt Fink.
Näheres: www.bmukk.gv.at, "Lerntipps". "Morpheus" kann man bei www.testzentrale.de um 198 Euro bestellen.