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Glückliche Familie in einem Park (imago / AFLO)
Hoffnung ist für den Menschen wichtig, sagt die Psychologin Gabriele Oettingen. Doch ebenso wichtig sei die Erkenntnis, welche inneren Hindernisse bei der Umsetzung bestimmter Wünsche bestünden. Erst daraus könne die Kraft für Lebensveränderungen entstehen.
Wie sinnvoll ist Hoffnung für den Menschen? Die Wissenschaft hat wichtige Erkenntnisse gewonnen, die auch Strategien für eine bessere Lebensgestaltung bieten können.
Die Hoffnung sei für den Menschen überaus wichtig, sagte Gabriele Oettingen, Professorin für Psychologie an der New York University und an der Universität Hamburg, im Deutschlandradio Kultur. Hoffnung helfe dem Menschen gerade in auswegslosen Situationen, nicht aufzugeben:
"In den Situationen, wo wir die positiven Träume und die positiven Zukunftsphantasien brauchen, um weiter zu machen, um durchzuhalten. Um überhaupt auch mit anderen umgehen zu können, obwohl die Bedingungen ungut sind."
"Man muss den Gang wechseln"
Positives Denken alleine reiche jedoch nicht aus, um bestimmte Lebenssituationen zu bewältigen, meinte Oettingen. Den positiven Zukunftsträumen müssten auch Handlungen folgen:
"Man muss den Gang wechseln. Und sagen: Was ist es eigentlich in mir, das dagegen steht, dass ich mir diese Wünsche erfülle? Und das Schöne zu erleben, wenn ich diese Wünsche erfüllt habe? Und die Identifizierung und das Imaginieren dieses inneren Hindernisses wird mich dazu bewegen, zu wissen, zu erleben, was ich machen kann, um diese Hindernisse zu überwinden."
Die Vier-Punkte-Strategie "WOOP"
Es gebe eine bestimmte Methode für die Umsetzung dieser Erkenntnisse, erläuterte Oettingen die Ergebnisse ihrer Forschung. Sie laute "WOOP", also eine Abkürzung für die englischen Worte wish, outcome, obstable und plan. Es handele sich um einen Vier-Stufen-Plan aus den Begriffen Wunsch, Ergebnis, Hindernis und Plan:
"In diese Strategie kann jeder seine Wünsche einbringen. Und sie ist ein guter Begleiter für das tägliche Leben, um die Wünsche zu erfüllen, die machbar sind. Und die anderen Wünsche, jene, die zu kostenreich oder nicht machbar sind, die kann man zur Seite legen."
In zwei Wochen erscheint Gabriele Oettingens Buch "Die Psychologie des Gelingens" im Pattloch Verlag.
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Wir sind bei unserem nächsten Thema, nämlich beim Thema Hoffnung. Manchmal wundert man sich ja, welche Dynamik ein Thema annehmen kann – gestern an dieser Stelle haben wir mit dem Heidelberger Psychologen und Therapeuten Arnold Retzer gesprochen und zwar zum Thema Hoffnung. Hoffnung als Lebensprinzip, und das hat Retzer infrage gestellt.
Retzer: Ich glaube auch nicht, jeder, der hofft, ist prinzipiell blöd. Aber man muss sich natürlich schon die Frage stellen, wie man es schafft, eventuell wider Lebenserfahrung weiter zu hoffen. Und da ist möglicherweise Blödheit, Dummheit, das Ignorieren von Informationen, Schönfärberei, kurz, das Abstellen der Vernunft eine gute Möglichkeit, auf Dauer weiter zu hoffen, obwohl das Leben ständig sein Veto gegen diese Hoffnungsillusionen einlegt.
Brink: Der Psychologe Arnold Retzer und seine Aussagen haben viel Zuspruch, aber auch Widerspruch produziert, zum Beispiel bei uns auf facebook. Da sagt jemand: "Es grenzt ja schon an Unmenschlichkeit, mit dieser These den Menschen das Letzte zu nehmen, nämlich die Hoffnung" oder jemand anders hat gesagt, "Auf Polnisch sagt man: Hoffnung ist die Mutter der Dummen, kluge Leute handeln, denken, geben auf, akzeptieren die Neins des Lebens". Also eine viel diskutierte Frage, und wir wollen sie jetzt weiterdiskutieren und zwar mit Gabriele Oettingen, sie lehrt Psychologie an der Uni Hamburg und auch an der New York University, und in zwei Wochen erscheint ihr Buch "Die Psychologie des Gelingens", da geht es auch sehr viel um Hoffnung. Guten Morgen, Frau Oettingen!
Gabriele Oettingen: Guten Morgen!
Brink: Wir haben gerade den Arzt Arnold Retzer gehört, der empfiehlt uns ja alle Hoffnung fahren zu lassen, wir wollen sie aber nicht aufgeben, Frau Oettingen. Wie sinnvoll ist denn Hoffnung aus Ihrer Sicht?
Oettingen: Hoffnung ist wichtig, um gerade in ausweglosen Situationen nicht aufzugeben, in den Situationen, wo wir die positiven Träume und die positiven Zukunftsfantasien brauchen, um weiter zu machen, um durchzuhalten, um überhaupt auch mit anderen umgehen zu können, obwohl die Bedingungen ungut sind, obwohl die Bedingungen ausweglos scheinen.
Hoffnung hilft in auswegslosen Situationen
Brink: Was wären denn solche Bedingungen, zum Beispiel bei schweren Krankheiten?
Oettingen: Bei Krankheiten, von denen man denkt, dass sie nicht wieder gut werden, wenn man in Diktaturen lebt, wo man annehmen muss, dass sie sich jetzt erstmal nicht von alleine auflösen, ausweglose Situationen in der Familie, wo man selber gar nichts mehr tun kann – das sind Situationen, in denen positive Zukunftsfantasien, positives Träumen Hoffnung geben. Und so kann man Hoffnung auch definieren, als diese positiven Zukunftsfantasien, Zukunftsträume in Situationen, die einem im Moment ausweglos erscheinen.
Brink: Aber reicht denn positiv denken dann?
Oettingen: Ja, das mit dem positiv denken, das ist eine trickreiche Angelegenheit. Man hat ja oft gehört, dass positives Denken unter allen Umständen und in allen Formen hilfreich ist für Anstrengungund Erfolg, dass man dann auch das Notwendige für sich tut, dass positives Denken immer zum Erfolg führt.
Unsere Forschung der letzten 20 Jahre zeigt, dass postives Denken differenzierter zu sehen ist. Dass positives Denken unter bestimmten Bedingungen sehr wohl hilfreich sein kann, zum Beispiel in ausweglosen Situationen, diese zu überstehen oder auch um Zukunftsmöglichkeiten im Geist zu elaborieren oder zu explorieren. Aber wenn es darum geht, diese Zukunftsmöglichkeiten tatsächlich herzustellen, sich die Wünsche für die Zukunft zu erfüllen, dann sind positive Zukunftsfantasien für sich alleine ein Problem.
Der Traum vom Erfolg einer Diät
Wir haben zum Beispiel gefunden, dass je positiver Personen, die gerne Gewicht verlieren wollen, träumen über den Erfolg in ihrer Diät, desto weniger haben diese Leute tatsächlich an Gewicht verloren, und das über ein, zwei Jahre hin. Oder je positiver Hochschulabsolventen darüber fantasiert haben, dass sie einen Superjob kriegen, desto weniger Stellenangebote haben sie bekommen und desto weniger haben sie verdient, zwei Jahre später. Oder im Gesundheitsbereich, Personen, die sich eine Hüftgelenksersatzoperation unterzogen haben. Je positiver sie fantasiert haben darüber, wie gut sie letztlich genesen werden, desto weniger gut konnten sie ihr neues Gelenk bewegen. Also es sieht so aus, dass positive Zukunftsfantasien zwar im Moment angenehm sind, aber auf die Dauer einem die Kraft nehmen, diese wirklich umzusetzen.
Brink: Also man muss weiter etwas tun, und da haben Sie auch eine Methode entwickelt, die Sie auch in Ihrem Buch schildern. Wie kann man denn ganz konkret etwas tun, also wie müssen wir uns das vorstellen?
Oettingen: Wenn man diese positiven Zukunftsfantasien träumt, die kann man ruhig träumen, aber dann muss man den Gang wechseln und sagen, was ist es eigentlich in mir, das dagegensteht, dass ich mir diese Wünsche erfülle, was hindert mich in mirdaran, was ist es in mir, das mich davon abhält, mir diese Wünsche tatsächlich zu erfüllen und das Schöne zu erleben, wenn ich diese Wünsche erfüllt habe. Die Identifizierung und das Imaginieren dieser inneren Hindernisse wird mich dazu bewegen, zu erkennen, was ich machen kann, um diese Hindernisse zu überwinden. Und wenn man dann auch noch einen Plan draufsetzt in der Form von: "Wenn das Hindernis eintritt, dann werde ich das Verhalten ausführen, um dem Hindernis beizukommen", dann werde ich differenzieren können, welche Wünsche ich tatsächlich verfolge, weil diese auch Erfolg versprechen. Und welche Wünsche ich – weil die Hindernisse zu groß sind oder weil ich auch denke, das lohnt sich nicht –, delegieren kann oder hinten anstellen oder auch ganz zur Seite legen kann.
Brink: Also wir müssen dann sehr genau differenzieren auch zwischen Hoffnung und Schönfärberei, das heißt, bei aller Hoffnung müssen wir auch zum Kern des Problems immer hinkommen.
Das Problem lautet: Was wünsche ich mir wirklich?
Oettingen: Bei aller Hoffnung muss ich mir erstmal überlegen, was ist es eigentlich, was ich mir wünsche, was wünsche ich mir wirklich? Dann imaginiere ich, wie schön es ist, wenn ich mir den Wunsch erfülle. Aber danach muss ich eben den Gang umlegen und sagen, okay, was ist es in mir, das dagegensteht, dass ich diesen Wunsch erfülle? Und schließlich muss ichmir einen Plan zurechtlegen: "Wenn das Hindernis auftritt, dann werde ich Folgendes tun, um es zu überkommen!". Das Schöne ist, dass diese bewusste Imaginationstechnik nicht-bewusste Prozesse anstößt, und diese nicht-bewussten Prozesse mir helfen, mein Verhalten tatsächlich zu verändern, Gewicht zu verlieren, mehr zu studieren, netter zu meinem Umfeld zu sein, mich gesund zu ernähren oder eben gerade den Wunschzu erfüllen, den ich im Moment habe.
Brink: Hat das bei Ihnen auch funktioniert?
Oettingen: Ja, für mich war das wichtig! Für mich war das wichtig, jetzt schon über Jahre hin. Ich bin ja Forscher, ich bin empirischer Forscher. Und ich lasse mich von meinen Daten leiten, nicht nur in der Forschung, sondern auch im eigenen Leben. Und "WOOP" – wie wir das nennen, Wish, Outcome, Obstacle, Plan – ist diese Vier-Stufen-Strategie, in die ich alle meine Wünsche und in die jeder alle seine Wünsche einfüllen kann. "WOOP" ist ein guter Begleiter für das tägliche Leben, um die Wünsche zu erfüllen, die machbar sind. Und die anderen Wünsche, die zu kostenreich oder auch nicht machbar sind, zur Seite zu legen.
Brink: Vielen Dank! Die Psychologin Gabriele Oettingen und ihr Prinzip WOOP – Wish, Outcome, Obstacle, Plan: Wunsch, Ergebnis, Hindernis, Plan – kann man alles bei ihr noch mal nachlesen in der "Psychologie des Gelingens", erscheint in zwei Wochen. Vielen Dank, Frau Oettingen!
Oettingen: Ich habe zu danken!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.