Die Wasserforscherin Christine Sindelar untersucht Spiralströmungen
Christine Sindelar hat keine wissenschaftliche Normbiografie. In ihrer ersten
Karriere war sie AHS-Lehrerin für Mathematik und Psychologie/Philosophie, in
ihrer zweiten IT-Leiterin. Seit 2005 ist sie Fulltime-Forscherin.
Für ihren Postdoc hat die 37-jährige Oberösterreicherin ein
interdisziplinäres Projekt über Spiralströmungen in natürlichen Flüssen in
Vorbereitung. Diese werden von kleinen Rauheitselementen - etwa an
herausragenden Felsbrocken oder ständig überströmten Buhnen (Bauwerke zum Ufer-
oder Küstenschutz) - im Fluss erzeugt.
Das Phänomen und seine Auswirkungen will sie auf der Forschungsstation
WasserCluster Lunz hydrodynamisch, sedimentologisch und mikrobiologisch
untersuchen. Sie ist fasziniert von der Grundidee der Bionik: Prozesse der
belebten Natur zu verstehen, um sie für technische Anwendungen nutzbar zu
machen. "Die Natur endet nicht an Fachgrenzen. Daher ist ein interdiszi-plinärer
Ansatz wichtig. Ich möchte den Dingen auf den Grund zu gehen", erklärt die
promovierte Bauingenieurin.
Ein "For Women in Science"-Stipendium, das vom Kosmetikkonzern L'Oréal, der
Unesco-Kommission, der Akademie der Wissenschaften und dem
Wis-senschaftsministerium vergeben wird, hat die spätberufene Forscherin
motiviert weiterzumachen. Sie bereitet damit einen Antrag für eine
Postdoc-Stelle des FWF-Programms Hertha Firnberg vor und wird bei erfolgreicher
Bewerbung am Department für Limnologie der Uni Wien tätig sein.
Lenkbuhnen sind für Sindelar "die Zukunft des Flussbaus. Man kann mit wenig
Materialeinsatz gezielt Maßnahmen setzen, um Ufer zu schützen. Gleichzeitig
werden Strömungsmuster erzeugt, die sich hoffentlich positiv auf das Ökosystem
auswirken."
Parallel zum Lehramt studierte sie Technische Mathematik an den Unis Linz und
Salzburg, um rasch auf eigenen Beinen zu stehen. Nach drei Jahren als
IT-Leiterin in der Diözese Linz wurde ihr aber klar: "Ich bin ein
Forschergeist." Und sie beschloss, den Wahrheitsbeweis anzutreten. Für ihr
Doktorat an der TU Graz besuchte sie mit jüngeren Studierenden
Lehrveranstaltungen oder lernte abends in einer WG: "Dennoch hab ich mich als
Berufstätige und nicht als Studentin gefühlt."
Als Forschungsassistentin am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft
beschäftigte sie sich von Anfang an mit naturnahen Flussbaumethoden und begann
rasch Forschungsanträge zu schreiben. "Zum Glück haben mich meine Kollegen für
ein paar Monate in diversen Projekten untergebracht, bis das erste davon auch
durchging", sagt sie. Mithilfe des Austauschprogramms Erasmus beteiligte sie
sich an einem Staff-Training in Trondheim in Norwegen und unterrichtete
Hydrologie im Rahmen von Teaching-Mobility im slowakischen Kosice.
Für wissenschaftliche Leistung gibt es eigentlich nur einen Indikator: die
Anzahl der Publikationen. "In dieser Hinsicht fehlen mir die Jahre, die ich in
der Privatwirtschaft verbracht habe, natürlich schmerzlich. Trotzdem möchte ich
sie nicht missen. Es ist ganz wichtig, einmal nicht in einem Bildungssystem zu
stecken." Da steckt sie lieber in der Natur oder in einem alten VW-Bus und reist
mit ihrem Partner durch Marokko. (DER STANDARD, Printausgabe, 08.02.2012)