Anfang März bis Anfang April wurde in Beijing eine Ausstellung zum Thema Zeit und Design präsentiert, initiiert von dem Triennale Design Museum und dem Kulturbüro der italienischen Botschaft. "Chrono Schredder", der Entwurf von Susanna Hertrich, war eines der beliebtesten Werke. "Chrono Shredder", der jeden Tag ein Kalenderblatt zerschneidet, sammelt die gelebte Zeit in dekorativen Papierlocken auf dem Boden. Die Künstlerin erklärt ihren Entwurf so:
"Die Idee dahinter war zu überlegen, wie kostbar eigentlich Zeit ist, oder Lebenszeit. Und sozusagen auch das Unsichtbare darzustellen. Das Unsichtbare ist ja die Zeit, die verrinnt, also die Zeit, die man nicht mehr hat und dieser Zeit eine greifbare Form zu geben. In dem Fall ist das Greifbare das Papier. Also, dass man sozusagen jeden Moment, den man lebt, auch gleichzeitig wieder verliert, dass man das vor Augen hat. Und dann natürlich auch die Lebenszeit, die einem bleibt, zu schätzen weiß, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist es aber auch so eine Art dunkle Erinnerung. Also es ist auch irgendwie eine Erinnerung an etwas, was eigentlich sehr unangenehm ist. Jede Sekunde, die man hat, ist auch gleichzeitig wieder verloren. Es geht auch um das Spiel mit dem etwas Unheimlichen in der verlorenen Zeit."
"Chrono Shredder" hat keinen Schalter. Das Kunstwerk läuft ohne Pause und kann nicht gestoppt werden – genau wie die Zeit. Zu möglichen Gefühlen, die das Werk auslöst, wollte Hertrich keine konkrete Antwort geben.
"Das würde ich gar nicht werten. Also ich würde gar nicht "positiv" oder "schön" oder "negativ", sondern das ist einfach sozusagen "neutral". Das, was unsichtbar ist in die Welt zu bringen, wäre sozusagen das Papier. Dass der formlosen Zeit eine Form gegenübertritt, die natürlich auch je länger der Zeitraum geht, umso größer wird, die wirklich auch dann spürbar wächst. Also das soll ja ein bisschen auch offen sein. Das ist wirklich eine Arbeit, die jeder versteht, wo man auch gar nicht viel zu sagen muss, die einfach auch in jedem Kulturkontext eigentlich verstanden wird. Die anderen Sachen sind vielleicht ein bisschen schwieriger zu entschlüsseln, aber es bleibt immer noch ein Moment der Interpretation. Also ich will auch gar nicht alles erklären."
Design kann auch eine Devise sein: "Why not?", (Warum nicht) sieht so einfach aus, aber diese zwei Worte verfügen bei Hertrich auch über eine psychologische Macht:
"Das ist eine Aufforderung – also'Warum nicht'. Und das Ganze spielt eben auch sehr stark mit dem Selbst und dem Unheimlichen. Also das ist eine Situation, die die meisten Leute kennen, dass man Momente hat, wo einem vor sich selbst unheimlich ist. Der Klassiker ist, man fährt nachts mit dem Auto über die Autobahn und es kommt eine Brücke. Man hat diesen kurzem Moment, wo man überlegt: Ich könnte, ich könnte jetzt in die Brücke fahren. Diesen ganz kurzen Moment. Man weiß, man tut es nicht. Aber es sind manchmal so Streiche des Unterbewusstseins, dass diese ganz dunklen unheimlichen Gedanken kommen. Und da spielt die Arbeit eben rein. Also in solchen Situation, also die U-Bahn fährt ein, man überlegt, plötzlich spricht das Unterbewusstsein und sagt, spring doch. Und man hat so diesen: 'Ah! Wer bin ich eigentlich und warum habe ich den Gedanken?' Dass das in dieser Aufforderung 'Why not?' gesagt wird in solchen Situationen."
Aufgrund persönlicher Erfahrungen hat sich die Künstlerin auch von der asiatischen Kultur beeinflussen lassen. Ihr Vater reiste als einer der ersten deutschen Diplomaten Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre mehrfach nach China. 2012 hat Susanna Hertrich mit einem Stipendium des Goethe-Instituts im Art Science Media Laboratory (TASML) der Tsinghua Universität an einem "Artist-in-Residence"-Programm teilgenommen. Hinter ihren verschiedenen Werken steckt ein philosophischer Gedanke.
"Das stimmt, das kann man sagen. Also es gibt ja auch von mir das Manifest, das ich geschrieben habe, was meine grundsätzliche Philosophie auch erläutert, wo es eben um Komplexitäten geht und ganzheitliche Verknüpfung – eigentlich so damit aufräumt, dass es eben keine schwarz-weiße Weltsicht gibt. Das ist in Asien nichts Neues. Aber in der westlichen Welt ist man immer sehr gerne mit Gut und Böse, Schwarz und Weiß und so dabei. Ich sehe das aber eben auch anders."
Text von Wu Shiyun
Gesprochen von Lu Ming