Der Kunde kauft neun von zehn Büchern spontan. Er greift reflexartig bei Titeln zu, wenn er den Namen des Autors kennt Schon 15 Prozent – Tendenz steigend – aller Bücher in Deutschland werden über Onlinehändler vertrieben
Die nahende Ankunft des Gouvernators hatte schon seit Wochen zu Beunruhigung geführt. Vor allem bei dessen deutschem Verlag Hoffmann und Campe, wo man sich darum sorgte, ob Arnold Schwarzenegger, wenn er an diesem Mittwochnachmittag sein neues Buch "Total Recall" bei der Frankfurter Buchmesse vorstellen würde, von der erwarteten Masse an Fans überwältigt werden würde. Ganz so dramatisch verlief der Auftritt dann allerdings nicht. Geschützt von Polizisten in schusssicheren Westen trat Schwarzenegger zwar auf, doch die Fans verhielten sich allesamt gesittet.
Kein Autor oder Dichter war der unbestrittene Star der diesjährigen Messe, zu der knapp 300.000 Besucher kamen und kommen – sondern ein ehemaliger Bodybuilder, Schauspieler und Politiker. Über seine Verkaufserwartungen schweigt der Verlag sich aus, in der Branche ist von "sechsstellig" die Rede.
Über die Buchbranche sagt das einiges aus. Immer weniger, dafür stark beworbene Titel in hohen Auflagen sind es, mit denen die Verlage das Geld verdienen. Und nicht selten prangen Gesichter und Namen von Fernsehprominenten auf den Covern. Wie kann es sein, dass sich Bücher, die wenig mit klassischer Literatur zu tun haben – von Schwarzenegger über Bettina Wulff bis hin zum Soft-Sado-Maso-Roman "Shades of Grey" – die großen Kassenschlager unserer Zeit sind? Nach welchen Kriterien entscheidet der Kunde?
Natürlich kennen die Buchverlage die wahre Antwort darauf auch nicht. Wäre es anders, würden nicht jedes Jahr bundesweit 100.000 Bücher verlegt, vom Kochbuch über das Pixibuch für Kinder bis hin zur Dissertation, von denen der Großteil nie eine Buchhandlung erreicht. Mit Büchern, so eine Weisheit in der Branche, ist es wie an der Börse: Man spekuliert, auf welches Werk man setzen soll, meistens verliert man Geld, doch manchmal hat man Glück.
Trotzdem gibt es für die Verleger ein paar Anhaltspunkte, die den monetären Erfolg eines Buchs wahrscheinlicher werden lassen und die Verlagshäuser dazu veranlassen, in hohe Erstauflagen zu investieren. Der wichtigste heißt: gekauft wird, was man kennt. Denn der typische Buchkäufer, lautet eine in der Branche allgemein anerkannte Daumenregel, kauft neun von zehn Büchern spontan. Er greift beim Schlendern durch den Laden reflexartig bei Titeln zu, wenn ihm der Name des Autors etwas sagt. Das erklärt, warum das neue Buch von Harry Potter-Autorin Joanne K. Rowling oder das jeweils neue Werk des Philosophen Richard David Precht weggehen wie geschnitten Brot, während bei Wirtschaftsbüchern, deren Autoren keinen Promi-Status haben, die Verlage in aller Regel schon froh sind, wenn die sich mehr als 5000 Mal verkaufen.
Es erklärt auch, warum derart viele Titel von Autoren wie Peer Steinbrück, Lothar Matthäus, Sonya Kraus oder Christoph Maria Herbst in den Regalen liegen. Bei der Frankfurter Buchmesse war auch schon im vergangenen Jahr eine Nicht-Autorin die Hauptattraktion: Blondine Daniela Katzenberger, deren Aufstieg unter der Begleitung von "Vox"-Fernsehkameras begann, als sie nach Los Angeles auswandern wollte, um sich als Playmate zu versuchen und dafür persönlich an der Villa von Playboy-Gründer Hugh Hefner klingelte. Als Katzenberger ihr Buch "Sei schlau, stell dich dumm" am Stand ihres Verlags Bastei Lübbe vorstellte, wurde der von Journalisten und Kamerateams nahezu überrannt.
Die mediale Präsenz hatte Wirkung. Das Buch sei ein "absoluter Verkaufsschlager" gewesen, sagt Bastei Lübbe-Geschäftsführer Klaus Kluge. Mittlerweile seien 360.000 Exemplare verkauft worden, was den Verlag selbst überrascht hätte. Möglicherweise waren viele der Katzenberger-Käufer das, was der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in einer Studie vor vier Jahren als "Wenigkäufer" identifizierte und andere in der Branche als "Nichtleser" bezeichnen: Kunden, die normalerweise nicht ihre Freizeit in Buchhandlungen verbringen. Tatsächlich, heißt es bei Bastei-Lübbe, verkauften sich Bücher wie das der Katzenberger überproportional häufig in den Buchabteilungen von Kaufhäusern und in Bahnhofsbuchhandlungen. Über alle Sparten hinweg wird etwa jedes zehnte Buch in einem solchen Laden verkauft, der kein Fachhandel ist.
Allerdings sei es bei Weitem nicht selbstverständlich, dass ein prominentes Gesicht auf dem Umschlag für hohe Verkaufszahlen sorgt. "Fans sind nicht immer auch Buchkäufer", sagt Bastei Lübbe-Geschäftsführer Kluge. Wahrscheinlich hat ein Promi vom Kaliber Lothar Matthäus eine andere Fanstruktur als ein Comedian wie Dieter Nuhr, der häufig im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auftritt und hintergründige Witze macht. Bei letzterem Profil lasse sich der Erfolg gut prognostizieren, sagt Kluge. "Nuhr gilt als einer der Intellektuellen unter den Comedians. Da ist abzusehen, dass die Fans auch Buchkäufer sind."
Ein prominenter Autor, egal ob hauptberuflich oder buchgewordener Fernsehstar, hat überdies in der Regel einen guten Zugang zu Medien, die über das Buch berichten und es zum Gesprächsthema werden lassen. "In dem Moment, in dem ein Buch in den Medien eine große Rolle spielt, habe ich als Kunde Angst, etwas zu verpassen und nicht mitreden zu können, wenn ich es nicht kaufe", sagt Mirjam Berle vom Buchhändler Thalia. Kurioserweise spiele es dabei nicht immer eine Rolle, ob das Werk positive oder negative Presse bekomme – siehe Helene Hegemanns "Axolotl Roadkill". "Es ist sehr wichtig, einen Autor in eine Fernseh-Talkshow zu bekommen. Das schafft eine Aufmerksamkeit, die sich schnell in den Verkäufen niederschlägt. Schon kurz nach der Sendung kann man das an den Verkaufsdaten erkennen", sagt Olaf Meier, langjähriger Lektor beim Campus-Verlag und dort inzwischen Verlagsleiter Programm.
Bei den Verlagen führen diese Zusammenhänge dazu, dass immer höhere Summen in Werke gesteckt werden, von denen man sich sechsstellige Auflagen verspricht, seien es die deutschsprachigen Rechte für den nächsten Ken Follett-Roman oder die Autobiografie Jörg Kachelmanns, während Erstautoren nur noch selten eine Chance haben und immer häufiger auf eigenes Risiko sich per Book-on-Demand selbst verlegen müssen. Die Rede ist von der "wegbrechenden Mittelschicht" der Bücher. "Die Entwicklung zu lauteren und schrilleren Titeln sowie zu Autoren mit hohem Promi-Faktor hat sich in den vergangenen Jahren deutlich beschleunigt. Der Buchhandel ist heute eindeutig stärker Bestseller getrieben als früher", sagt Meier.
Die Buchhändler machten sich das Wissen über die psychologischen Kaufentscheidungen der Kunden bei der Gestaltung ihrer Läden zunutze, erklärt Thalia-Sprecherin Berle. "Die Bücher, die in aller Munde sind, müssen wir als Buchhändler gut sichtbar am Eingang platzieren. Sonst denkt der Kunde, wir seien nicht gut sortiert." Auch dienten solche Blockbuster-Bücher dazu, den Kunden in den Laden hineinzulocken. Wo dann hoffentlich der Impulskauf-Reflex einsetze.
Die Handelsketten müssen versuchen, mit immer weniger Platz immer mehr Geld zu verdienen. Zum einen laufen die riesigen Buchpaläste in den Einkaufsstraßen nicht mehr gut, die Läden werden wieder kleiner. Zum anderen bieten die Händler immer mehr Produkte an, die gar nichts mit Büchern zu tun haben, etwa Stofftiere, Küchenausrüstungen oder Blumensamen in der Gartenfibel-Abteilung. Von dieser Platzverknappung profitieren dann vor allem jene Titel, die ohnehin schon auf der – zumeist unübersehbar im Laden platzierten – Spiegel-Bestseller-Liste stehen.
Zur optimalen Platzierung meint Berle: Der Händler müsse versuchen, den Kunden auf seinem Weg durch den Laden neugierig zu machen. Das mag auch erklären, warum es so häufig auffällige Aufkleber auf den Plastikverpackungen eingeschweißter Bücher gibt, auf denen Dinge wie "Bestseller" stehen. "Wenn dem Käufer signalisiert wird, dass sich dieses Buch schon häufig verkauft hat, denkt er, das sei ein Hinweis auf die Qualität", kritisiert die Berliner Buchhändlerin Daniela Brezing. Der Kreislauf aus Kunden, die nur noch Bestseller kaufen und Verlagen, die deshalb fast nur noch in Spitzentitel investieren, ist ihr ein Dorn im Auge.
Deshalb hat Brezing vor einem knappen Jahr einen Onlinehandel eröffnet, der einen ganz anderen Ansatz verfolgt: Die Kunden füllen über ihre Internetseite www.einfacherlesen.de einen Fragebogen über ihre Lesevorlieben aus: Mögen Sie Ich-Erzähler? Welches Buch hat Ihnen zuletzt besonders gut gefallen? Auf dieser Basis wählt die Händlerin Bücher für jeden einzelnen Kunden aus und verschickt sie dann per Post – ohne, dass der Kunde den Titel vorher abnickt. "Den meisten Leuten fällt es schwer zu sagen, was sie gern lesen würden. Deshalb verfallen viele auf die Massenware, während so mancher literarische Schatz, der es wert wäre, sich kaum etabliert", sagt Brezing. Bei ihr dagegen gehe es genau darum, sich durch die fachkundige Auswahl überraschen zu lassen und den Impulskauf-Reflex auszublenden.
In eine ähnliche Richtung geht ein Projekt, das momentan im Auftrag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels läuft: Die "Emotional Book Search" ist ein Softwaremodul, mit dem Kunden von Onlineshops künftig beim Stöbern nach Emotionen suchen sollen können, die ein Buch vermittelt: Macht mich die Lektüre wütend, weil der Protagonist schlecht behandelt wird? Bringt mich ein leichter Roman zum Lachen?
Auch bei den großen Ketten spiele die Beratung eine zunehmende Rolle, sagt Thalia-Sprecherin Berle: "Das müssen wir auch leisten, um uns gegenüber dem Onlinehandel abzugrenzen." Laut Branchenstatistik kaufen nur noch knapp die Hälfte der Deutschen ihre Bücher in der Buchhandlung, schon 15 Prozent – Tendenz steigend – werden über Onlinehändler wie Amazon vertrieben, wo das Bestsellerprinzip so stark wie wohl nirgends sonst praktiziert wird.
Jedes Buch bekommt dort einen mehrmals täglich aktualisierten "Amazon-Bestsellerrang" zugewiesen, darüber hinaus gibt es Bestseller-Listen für die unterschiedlichsten Kategorien, von Verkaufsschlagern der Esoterik bis Ranglisten für Steuerratgeber. Algorithmen, die wohl suggerieren: Was gut ist, wird gekauft. Und letztendlich wohl zum umgekehrten Zusammenhang führt. Was gekauft wird, erscheint gut.
Campus-Verlagsleiter Meier sagt, er habe dennoch Hoffnung, dass auch in Zukunft noch literarische Qualität abseits des Mainstreams produziert werde. "Für Buchläden, in denen der Kunde stöbern und auf überraschende Titel stoßen kann, wird es auch weiterhin einen Markt geben. Und die Verlage werden diese Nachfrage bedienen. Die Nische ist groß genug."Mitarbeit: Hagen Seidel