Kein „Allheilmittel“ für die Börse


"Verhalten wir uns rational, bewusst oder unbewusst, immer und überall?" Die Frage von Dirk Borgartz, Vorstand der Volksbank Kur- und Rheinpfalz, sollte den Gästen in der voll besetzten Alten Wollfabrik umfassend beantwortet werden. "Behavioral Finance", die Kapitalmarktanalyse im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Psychologie, war das spannende Thema der Veranstaltung, bei der der bekannte Finanzmarktanalyst Joachim Goldberg über Gefühlsregungen im Zusammenhang mit rationalem Denken und Handeln referierte.



Mit launigen Worten und anhand amüsanter Metaphern ging der 55-jährige gelernte Bankkaufmann und frühere Devisenhändler auf die nur wenig effizient erscheinenden Finanzmärkte und Verhaltensmuster bei fallenden und steigenden Kursen ein. Menschen könnten gar nicht alle auf sie einwirkenden Informationen aufnehmen, höchstens zwei bis drei Prozent, entzauberte er das Idealbild des "Homo oeconomicus", der theoretisch alles perfekt bewerkstelligen könne.

Fehlende Selbstkontrolle

Er werfe seine Prinzipien manchmal auch über Bord, gab der Liebhaber guter Bordeauxweine zu. Etwa, wenn er beim Ersteigern einer Flasche, die er mental schon fast geleert habe, zum Schluss noch überboten werde und seinen gesetzten Höchstbetrag überschritten habe. Das passiere so auch auf Finanzmärkten. Wer gönnt seinem Freund einen Lottogewinn? Wer überlässt bei einem fiktiven Spiel eine bestimmte Summe einem anderen? Wer möchte auf einem kleineren Grundstück wohnen, wenn alle anderen größere Flächen haben? Goldberg analysierte anhand von Beispielen gemeinsam mit dem Publikum menschliches Verhalten in wirtschaftlichen Situationen. Die Menschen suchten immer den sozialen Vergleich, so der Finanzexperte. Fehlende Selbstkontrolle, zu starkes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (Overconfidence) und mangelnde Disziplin seien ausgesprochen negative Faktoren. Die Überzeugung, alles kontrollieren zu können, führe zur Selbstüberschätzung. Ein weiterer Prozess tue sein Übriges: Dem Schock über einen Millionen-Jackpot-Gewinn folge nach wenigen Monaten die Gewöhnung.

In selektiver Wahrnehmung werde oft nur das realisiert, was zu Wohlbefinden führe. Fast immer würden Verluste schwerer bewertet als Gewinne in gleicher Höhe. Menschen unterschätzten zudem die Bindung: Bei der Entscheidung und dem "eskalierten Commitment" des Anlegers verändere sich die Wahrnehmung von Informationen. "An welchem Punkt kann ich meinen Frieden mit meinen Verlusten machen", analysierte der Experte die Aversionen, nicht rechtzeitig die Notbremse zu ziehen und später etwas bereuen zu müssen: "Alle sitzen es lieber aus." Die "Kapitulation" gebe es auf dem Weg nach oben, eine "Wunschkorrektur" dagegen nicht. Selbst Profis verpassten häufig eine Veränderung an der Börse.

Glück für den richtigen Zeitpunkt

"Wohlbefinden kostet Geld", versicherte der Autor eines vielbeachteten Buches zur "Behavioral Finance". Diese Einsicht sollte man haben, denn sonst könnte man am Finanzmarkt nicht überleben. Das Bestreben, sich bei seinen Entscheidungen gut zu fühlen, verhindere rationales Verhalten. Menschen fühlten sich besser, wenn sie stolz sein könnten, recht gehabt zu haben, gab Goldberg Tipps: Die Bindung gleichmäßig zu verteilen, Aktien mehr zu streuen und vor allem keine "Zeugen" zu haben, auch mal den "Advocatus Diaboli" zu spielen und den Argumenten der Gegenseite zu folgen und alles zu hinterfragen, das sei die bessere Vorgehensweise, so der Experte: "Denn den günstigsten Punkt werden die meisten von uns ohnehin nicht erwischen."

"Privatanleger reagieren häufig deutlich gelassener als die Profis", so Volksbank-Prokurist Achim Seiler in der Diskussionsrunde, die Regionaldirektor Helmut Herkert moderierte. Die Zuhörer hatten noch einige Fragen, bevor es in der Alten Wollfabrik mit dem gemütlichen Teil mit einem Imbiss und Gesprächen weiter ging. Ein "Allheilmittel" für die Börse gibt es nicht, deshalb konnte sich Joachim Goldberg an diesem Abend nur so verabschieden: "Sie brauchen Glück, um zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit dem richtigen Hebel anzusetzen."

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