Jetzt werden ganze Dörfer geimpft

Es sei kaum vorstellbar, wie kräfte­raubend, aber auch emotional belastend Einsätze in Ebola-Gebieten seien. Das machten Ärzte der Hilfsorganisation ­Médecins sans Frontières (MSF) letzte Woche an der UNO in Genf deutlich. Im Gespräch mit Journalisten sagten sie: «Wenn wir die Menschen in Westafrika gegen Ebola impfen können, feiern wir eine grosse Party.»

Es scheint nicht unrealistisch, dass es bald so weit ist. Rechnet man normalerweise zwischen 10 und 20 Jahre Arbeit bis zur Fertigstellung eines Impfstoffs, könnte es im Fall von Ebola einige wenige Monate dauern. Alles geschieht viel schneller als normal. So etwas hat es in der Geschichte der Medizin noch nie ­gegeben. Unter dem Druck, das tödliche Virus an seiner Ausbreitung zu hindern, lassen Forscher seit Monaten unter normalen Umständen ganztägige Sitzungen und Beratungen zu einstündigen ­Meetings zusammenschrumpfen. Und Testphasen, die üblicherweise stufenweise nacheinander folgen, werden parallel durchgeführt und Resultate laufend ausgewertet. Die in der Not provozierte Effizienzsteigerung scheint zu greifen.

Seit dem 23. März testet MSF mit dem in Kanada entwickelten Medikament VSV-Ebov einen ersten Impfstoff direkt in einem Ebola-Gebiet in Guinea. Dieser wurde Ende 2014 an den Unispitälern in Genf noch an Probanden in verschieden starken Dosen getestet. Bei den Testpersonen traten teils unangenehme Nebenwirkungen wie starke Gelenk-, Muskel- und Kopfschmerzen sowie etwas Fieber auf. Tropenmediziner Blaise Genton, der am Lausanner Universitätsspital (CHUV) den Versuch eines anderen, in den USA entwickelten Ebola-Impfstoffs leitete, sagt: «Die Nebenwirkungen müssen bei den Tests in Afrika rigoros untersucht werden. Entscheidend aber ist, dass im Blut der Testpersonen die Bildung ausreichend grosser Mengen Antikörper nachgewiesen werden konnte.»

Freiwillig, aber sehr ratsam

In Genf justierte Mengen des Wirkstoffs werden nun in einem kleinen, in der guineischen Präfektur Coyah gelegenen Dorf gespritzt. Der Impfversuch ist freiwillig. Aber alle Erwachsenen, die mit Ebola-Infizierten Kontakt hatten, sind aufgerufen, sich das Medikament spritzen zu lassen – mit Ausnahme schwangerer Frauen. Das entspricht laut Antoine Flahault, Professor für Global Health an der Universität Genf, dem üblichen Vorgehen bei Epidemien. Das Ziel sogenannter Ringimpfungen sei es, einen Kreis der Immunität zu schaffen, um das Virus an seiner Weiterverbreitung zu hindern. Man könne so eine ganze Dorfbevölkerung impfen, so Flahault.

«Die Strategie, diejenigen zu impfen, die den grössten Risiken ausgesetzt sind, war in den 1970er-Jahren der Schlüssel für die Ausrottung der Pocken», sagt Ana Maria Henao Restrepo, die für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Impfversuch in Guinea koordiniert. In den nächsten Wochen will die WHO in über 190 Ringimpfungen insgesamt 10 000 Personen mit dem Medikament behandeln. Getestet wird offenbar auch in nicht von Ebola betroffenen Ländern wie Nigeria, Ghana, Mali und Kamerun. Resultate erwartet man frühestens im Juli 2015.

Der am CHUV in Lausanne getestete Impfstoff cAd3-EBO-Z des amerikanischen Herstellers GlaxoSmithKline wird bereits seit Anfang Februar in der liberianischen Hauptstadt Monrovia eingesetzt. Das gaben die US-Gesundheitsbehörden letzte Woche bekannt. In einer ersten Testserie wurde 600 Personen je eine Dosis gespritzt, um die Sicherheit und Effizienz des Medikaments zu überprüfen. Bis Ende April wird das Medikament weiteren 900 Personen verabreicht. Tropenarzt Blaise Genton ist relativ zuversichtlich, dass der Impfstoff wirkt. Er sagt: «Wir registrierten die Bildung von Antikörpern, wobei die Nebenwirkungen nicht allzu stark waren.» Noch ist in Lausanne die Auswertung der Tests nicht abgeschlossen. Es fehlen beispielsweise die Resultate für die Beobachtungen weisser Blutkörperchen.

Sozialverhalten anpassen

Unbesehen vom Ausgang der eben begonnenen Testimpfungen hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) letzte Woche in Genf das Ziel ausgegeben, alleine durch gezielte Veränderungen sozialer Verhaltensweisen in den betroffenen Ländern die Ebola-Fallzahl auf null zu reduzieren. Hilfsorganisationen kämpfen noch immer damit, die westafrikanische Bevölkerung dazu zu bringen, auf ihre Bestattungsriten wie das Umarmen, Küssen und Waschen von Leichen zu verzichten.

Beat Stoll, der Basler Arzt und Spezialist für Entwicklungsmedizin, hält die Zielsetzung des IKRK für durchaus realistisch. Aber dafür brauche es eine Stärkung des lokalen Gesundheitswesens, eine bessere Überwachung der Gesellschaft und ein funktionierendes Meldesystem, so Stoll. Der Basler vermutet im Übrigen, dass in den drei von Ebola betroffenen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone die Routine-Impfungen bei Kindern gegen Masern, Polio, Tetanus und Keuchhusten vorübergehend eingestellt wurden. Er rät, diese Impfungen rasch nachzuholen, um neue Epidemien zu vermeiden.

Bei MSF hingegen hat man kaum noch Hoffnung, die Ebola-Epidemie dank einer Änderung des Sozialver­haltens in den Griff zu bekommen. Es heisst: Oft würden Ebola-Erkrankungen verschwiegen. Mit detektivischer Kleinstarbeit müsse man dann Sozialkontakte rekonstruieren und Leute auffinden, die mit Kranken in Kontakt waren. MSF hofft auf einen Erfolg bei den Impftests. Nur so würden die drängendsten Probleme rasch gelöst.

(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 29.03.2015, 18:14 Uhr)

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