Laura King, wie gehts Ihnen?
Laura King: (Lacht.) Mir gehts gut. Ich bin eine fröhliche Person. Vielleicht ist das der Grund, dass ich, anders als andere, die das Wohlbefinden untersuchen, nicht versuche, Menschen glücklicher zu machen. Viele Menschen sind eigentlich im Grundsatz schon ganz glücklich und ihnen bedeutet ihr Leben relativ viel.
Sie fragen in Ihrer Forschung Menschen nach dem Sinn im Leben. Welche Antwort erhalten Sie?
Ein Punkt sind - das überrascht wenig - die Alltagsgewohnheiten. Ich wusste, als ich mich für die Reise nach Basel entschied, dass ich den Sinn in meinem Leben für ein paar Tage zerstören würde, denn die Routine und Gewohnheiten sind für ein paar Tage weg.
Apropos Basel, wie gefällt es Ihnen?
Ich bin das erste Mal in der Schweiz. Basel ist fantastisch, die Stadt ist wie aus einem Bilderbuch. Und ich bin schon Zug und Bus gefahren - das mache ich in den USA eigentlich nie.
Sie sind Gastrednerin an der Jubiläumsfeier der Psychologischen Fakultät ...
... ich war zuerst skeptisch gegenüber einem 10-Jahr-Jubiläum. Aber als ich die Namensliste der Fakultät anschaute, kamen mir aber so viele bekannt vor. Der Grund ist, dass sie in der Referenzliste meines Psychologie-Einführungsbuches vorkommen. Das hat mich beeindruckt - auch als Herausgeberin eines Journals. Auch die Publikationsliste der Fakultät hat mich beeindruckt. Sie ist so dick wie ein Telefonbuch. Und sie zeigt, wie sehr sich das Fach in den letzten Jahren verändert hat: Früher konnte man klar unterscheiden zwischen der Psychologie in den USA und in Europa. Das ist vorbei, heute sprechen wir die gleiche wissenschaftliche Sprache und arbeiten an denselben Problemen. Ich würde darum diese zehn Jahre auch feiern.
Haben sich die Herangehensweisen innerhalb des Faches verändert in dieser Zeit?
Ja. Es gibt zum Beispiel eine grosse Bewegung, die Positive Psychologie, die Aspekte wie Glück und Optimismus untersucht. Ehrlich gesagt macht mir dieser Zugang Mühe. Die Positive Psychologie fokussiert auf aussergewöhnlich optimistische, erfolgreiche Menschen. Damit erweist sie den Leuten denselben Bärendienst wie die Psychologie, die nur auf Krankheiten fokussiert. Beide schauen sich die Extreme an. Mich aber interessiert die grosse Mehrheit in der Mitte, der Mensch, der seinen Alltag ganz gut meistert und als sinnhaft erlebt.
Aber Psychologie wird doch automatisch mit Krankheit verbunden.
Mein Fokus war immer anders. Der durchschnittliche Mensch hat ein ganzes Lagerhaus voller Information, wie er ein gutes, erfüllendes Leben führen kann. Und die meisten Menschen meistern ihr Leben eigentlich toll. Ich möchte verstehen, wie das funktioniert. Das Bild, das viele von der Psychologie haben, ist entsetzlich. Sie befürchten konstant, dass wir Psychologen ihnen nur sagen, was sie falsch machen. Ich muss dauernd erklären, dass ich nicht diese Art von Psychologin bin.
Zurück zu Ihrer Forschung: Was meinen Sie genau mit sinnstiftender Routine?
Es geht um erlebbare Muster. Die meisten Psychologen und einige Philosophen nehmen an, dass drei Aspekte eine Rolle für das Erleben von Sinn spielen: das Gefühl, für andere Menschen wichtig zu sein; das Gefühl, etwas erreichen zu können; und das Gefühl der Kohärenz. Meine Arbeit fokussiert auf diesem dritten Punkt, die Struktur, die einem Leben zugrunde liegt. Wir haben herausgefunden, dass Leute, die jeden Morgen denselben Weg zur Arbeit fahren, ihr Leben sinnvoller erleben als andere. Es sind die kleinen Dinge, die Sinn stiften. Sogar jemand, der wahnsinnig chaotisch ist, hat den Sonnenauf- und -untergang, das Glas Wein am Abend - also eine unterliegende Struktur. Eine Implikation ist, dass Gewohnheiten - sei es, eine Sendung zu schauen, einen Kaffee zu trinken oder eine Zigarette zu rauchen - das Erleben von Sinn verstärken. Wir suchen alle nach Sinn, das ist ein Grundbedürfnis. Nur weil wir danach suchen, heisst das nicht, dass der Sinn nicht unmittelbar vor uns liegt.
Was ausser Struktur gibt Sinn?
Eine relativ gute Laune zu haben. Wenn man Leute in eine gute Laune versetzt, zum Beispiel durch fröhliche Musik, wenn man ihnen Süssigkeiten oder Geld gibt, dann geben sie an, ihr Leben sei sinnvoller, als wenn sie keine gute Laune haben. Diese einfache Erkenntnis kommt nicht bei allen gut an und wird als ketzerisch empfunden.
Warum?
Weil sie denken, gewöhnliche Menschen könnten ihr Leben nicht als bedeutsam empfinden. Wir haben die Kritik ernst genommen und untersucht, welchen Einfluss zum Beispiel Glaube und soziale Beziehungen auf den Sinn im Leben haben. Aber das waren nicht die wichtigsten Faktoren. Wenn jemand keine Freunde hat, aber gute Laune, erlebt er das Leben trotzdem sinnvoll.
Was ist es dann?
Vergnügen, Beziehungen und Struktur hängen alle mit dem Überleben zusammen. Notwendige Dinge mit Vergnügen zu verbinden, ist der Weg, mit dem die Evolution unser Überleben sicherstellt. Würde der Mensch sein Leben nicht als sinnvoll empfinden, wäre er längst ausgestorben.
Es gibt eine enorme Menge Ratgeber, die uns sagen, wie wir glücklicher, erfolgreicher werden können und unsere Leben Sinn kriegt. Gehören die ins Altpapier?
(Lacht.) Es ist viel einfacher, als sie denken! Ich schreibe gerade ein Buch mit dem Arbeitstitel. «Das Leben hat Sinn». Ich kann nur sagen, hören Sie auf, nach Sinn zu suchen oder ihr Leben mit Sinn anzureichern. Er ist bereits voller Sinn.
Das dürften viele als Provokation auffassen.
Das ist mir egal. Es gibt Menschen, die unsere Forschung grundsätzlich ablehnen. Wenn ich sage, dass Sinn im Leben existenziell ist für das Überleben, dann erhalte ich recht. Aber: Wenn Sinn im Leben existenziell ist, dann kann es nicht schwierig sein, ihn zu finden. Sinn im Leben ist eine Erfahrung, die Menschen machen und nichts, das wir Psychologen erfunden haben.