"Die Idee war von Anfang an in mir, dass es zu wenig Leute sind, die Hilfe bekommen durch Psychotherapie, und dass es die Majorität der Menschen ist, die leidet und die weniger leiden müsste und auch weniger Leid zufügen würde, auch politisch, auch kriegerisch, wenn sie sich bewusster würden. Ich entnahm meinem Studium der Analyse, dass Bewusstwerden hilft. Und ich dachte, wie kann ich helfen - mehr als ein paar Leuten - bewusst zu werden."
So beschrieb Ruth Cohn in einem Interview 1980, wie sie von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion gekommen war, jenem speziellen Konzept der Gruppenarbeit, das sie in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt hat. Die TZI sollte keine Therapie, auch keine Gruppentherapie sein, aber doch mehr als eine Arbeitsmethode: ein Versuch, das Persönliche, die Anteilnahme, das Mitmenschliche, all das, was im therapeutischen Kontext so gut und wichtig ist, zu übertragen auf nicht-therapeutische Lern- und Arbeitsgruppen in der Schule, der Universität oder in Wirtschaftsunternehmen. Judith Burkhard, selbst Psychologin, Coach und TZI-Ausbilderin hat Ruth Cohn noch persönlich erlebt und erklärt, wie sie ihre Methode verstanden wissen wollte:
"TZI ist die Möglichkeit, eine Gruppe und sich selbst zu leiten, indem ich auf mich selbst sehe, beim ICH anzufangen, und das heißt praktisch, sich selbst gut zu kennen und zu reflektieren und andere anzuleiten, das auch zu tun. Sie hat das mit dem berühmten Chairperson-Postulat gesagt: "Nehme dich selbst wahr und nimm die anderen wahr". Und nehme dann vor allen Dingen auch wahr: wie kooperiert ihr, also das berühmte WIR. Und dann geht es darum zu fragen, um was geht es? Also die Aufgabe, das THEMA, das uns gerade zusammenführt."
Es ist dieses Dreieck aus Thema, Einzelperson und Gruppe, das die "Themenzentrierte Interaktion" kennzeichnet. Und als vierter Faktor kommt dann noch die "Umgebung" dazu, "Globe" bzw. Globus hat Ruth Cohn das genannt.
"Dieser "Globus", wie ich ihn in TZI benutze, bedeutet: die Situation, das soziale Umfeld, das hierarchische Umfeld, die Umgebung im weitesten Sinn, also bis zum Universum hinein haben wir Einfluss und werden beeinflusst."
Es geht bei der Themenzentrierten Interaktion um einen bewussten Blick nach innen und nach außen: Man soll es nicht beim Reden belassen, sondern auch konkret handeln. Das war ihr besonders wichtig. Ruth Cohn hat sich selbst zeitlebens politisch engagiert, und die TZI hat viel mit ihrer Biografie zu tun: Sie wuchs in Berlin als Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie auf, floh dann 1933 vor den Nazis erst in die Schweiz, schließlich in die USA. Aufgrund des fehlenden Medizinstudiums durfte sie dort nicht als Analytikerin arbeiten, also beschäftigte sie sich zunehmend mit anderen psychologischen Ansätzen, mit Gruppendynamik und Gestalttherapie. Vor allem aber begeisterte sie sich für die Humanistische Psychologie, die davon ausgeht, dass jeder Mensch sich - mit entsprechender Unterstützung - seiner selbst bewusst werden und entwickeln kann. Wie Carl Rogers war sie überzeugt:
"Ich sehe, dass Menschen veränderbar sind. Und ich glaube, wir sind irgendwie auf einem Weg durch wissenschaftliche und seelische Energien Humanisierung zu bewirken."
Ruth Cohn hat viele unterschiedliche Strömungen und Erkenntnisse zu einem einfachen, sehr praxisorientierten Handlungskonzept zusammen geführt, mit dem man das Arbeiten und Lernen in Gruppen besser, effektiver gestalten kann. Die TZI wurde 1966 zunächst in New York in dem "Workshop Institute for Living-Learning (kurz: WILL)" institutionalisiert und von ihr selbst nach Europa gebracht: Ruth Cohn hielt seit 1969 hier immer mehr Vorträge und kehrte 1974 ganz zurück - allerdings nicht nach Deutschland, sondern in die Schweiz, von wo aus sie bis ins hohe Alter TZI-Seminare gab.
Heute wird ihr spezielles Gruppenarbeitskonzept von vielen Ruth Cohn-Instituten international gelehrt und praktiziert, die nach wie vor betonen, dass es sich dabei nicht nur um "Techniken" handelt, sondern um ein humanistisches Wertesystem. Aus der Erfahrung mit der Nazizeit und der Verführbarkeit des Einzelnen gerade in der Masse, in der Gruppe, hat Ruth Cohn für die TZI eine Reihe von Axiomen und Postulaten aufgestellt, die vor allem den Wert, die Würde und Selbstverantwortung des Einzelnen im Blick haben. Eine der bekanntesten TZI-Regeln ist zum Beispiel die Aufforderung, "Ich" zu sagen, statt des verallgemeinernden "man" oder "wir". Dazu Judith Burkhard:
"Es soll helfen, die Kommunikation zu verbessern, zu lernen sich selbst verantwortlich einzubringen und sich deutlich zu äußern. Es ist schon was anderes, wenn ich sage, 'mich ärgert dieses Thema', anstatt zu sagen, 'dieses Thema ist allgemein ärgerlich', oder: 'Man könnte sich darüber ärgern'. Das bringt uns auch anders in Kontakt."
Ein anderes häufig genanntes TZI-Prinzip ist die "Balance". In Gruppen sollen die vier Faktoren, der Einzelne, die Gruppe, das Thema und allen sonstigen Einflüssen möglichst gleichmäßig gewichtet werden. Das hat dieser Art der Gruppenarbeit den Vorwurf der "Harmoniesucht" eingebracht, etwas naiv zu sein angesichts der herrschenden Konkurrenz- und Streitkultur. Judith Burkhard hält aus ihrer langjährigen Arbeit als Coach und mit Gruppen dagegen:
"Sie sagt ja nicht Balance um jeden Preis, sondern sie nennt es dynamische Balance, z.B. wenn ich jetzt in einer Gruppe bin, und es gibt unter Umständen einen Konflikt, dann lohnt es sich schon auch mal zu gucken auf die Sachseite, und wenn ich jetzt ein Thema, das kommt ja häufiger vor, zu sachlich betrachte, und nicht sehe, wie sind die Menschen damit in Bezug, dann geht ja der Sache oder dem Thema etwas verloren. Also Balance in dem Sinne, welcher Aspekt ist gerade im Moment nicht im Blickfeld. Und das scheint mir gar nicht naiv zu sein, sondern sehr hilfreich in der Arbeit mit Gruppen."
Im Grunde, so Judith Burkhard, werde mit dem Konzept der themenzentrierten Interaktion eine "Aufmerksamkeitskultur" gepflegt, die heute etwas verloren zu gehen droht, was oft mit dem Schlagwort "multitasking" kaschiert wird. Ruth Cohn selbst hat in dem langen Radiointerview 1980 auf drängendes Nachfragen schließlich zugestanden, dass sie tief im Herzen Therapeutin geblieben sei und dass ihr Konzept einer guten Gruppenarbeit am Ende vielleicht doch so etwas wie eine "Bevölkerungstherapie" sein könnte:
"Ich hab's mir so gedacht, aber ich würde es immer schwer in der Öffentlichkeit sagen, weil es größenwahnsinnig aussieht: Es ist die Utopie, dass es so sein könnte. Im Augenblick bin ich schon ganz froh, dass es schon mehrere Tausend Menschen gibt, die davon Nutzen haben."