Umstrittener Begriff
Sicherlich sind die Eigenschaften, die unter emotionaler Intelligenz zusammengefasst werden, durchaus hilfreich. Dennoch ist diese Bezeichnung stark umstritten. Kritiker bemängeln vor allem, dass der Begriff Intelligenz falsch verwendet wird. Schließlich beinhaltet emotionale Intelligenz viele Aspekte, die nichts mit Intelligenz im klassischen Sinn zu tun haben, also der Fähigkeit zum abstrakten Denken oder Verarbeiten von Wissen. „Intelligenz wird aber zur Leerformel, wenn man alles darunter zusammenfasst“, kritisiert Detlef Rost, Professor für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der Universität Marburg.
Zwar spielt Intelligenz durchaus eine Rolle, um Emotionen bei anderen richtig zu deuten. Ob jemand sich selbst gut motivieren kann und eher optimistisch in die Zukunft blickt – für Goleman beides ein Zeichen von emotionaler Intelligenz – ist dagegen eher eine Frage der individuellen Persönlichkeit als von echter Intelligenz. „Manche Menschen tun sich im emotionalen Bereich leichter“, sagt Rost. „Mit Intelligenz hat das aber wenig zu tun.“ Einige Psychologen sprechen deshalb lieber von emotionalen Kompetenzen als von emotionaler Intelligenz.
Erfolgreich dank emotionaler Intelligenz?
Zudem sind Golemans Aussagen über beruflichen Erfolg stark umstritten. „Für diese Behauptungen, die sogenannte emotionale Intelligenz sei dafür von zentraler Bedeutung, gibt es keinen soliden empirischen Beleg“, so Rost. Emotionale Intelligenz scheint also nicht der entscheidende Faktor zu sein, um im Job voranzukommen. „Stattdessen ist hier nach wie vor die klassische Intelligenz das wichtigste Merkmal“, so Rost.
Auf der anderen Seite gibt es durchaus Hinweise darauf, dass ein besserer Umgang mit Emotionen dazu beiträgt, mit Belastungen im Beruf leichter fertig zu werden und Burnout zu vermeiden. In einer Studie mit 134 Lehrern erholten sich diejenigen, die über eine höhere emotionale Kompetenz verfügten, schneller von Stresssituationen.
Der Psychologe Professor Heiner Rindermann von der Technischen Universität Chemnitz forscht unter anderem über emotionale Kompetenzen – er zieht diese Bezeichnung dem Begriff der emotionalen Intelligenz vor. „Emotionale Kompetenzen sind vor allem bei Berufen wichtig, in denen man viel mit anderen Menschen zusammenarbeitet“, sagt er. Aus seinen Studien weiß er auch, dass der Umgang mit Gefühlen sich auf die Gesundheit auswirkt. Wer seine Empfindungen sicherer wahrnehmen und sich mit ihnen bewusster auseinandersetzen kann, ist etwa weniger anfällig für Sucht oder leidet seltener unter Depressionen.
Der Begriff emotionale Intelligenz mag nur begrenzt Sinn machen. Dennoch macht er eines deutlich: Gefühle und Verstand müssen keinen Gegensatz bilden. Es lohnt sich, die eigenen Empfindungen immer mal wieder kritisch zu überdenken. Umgekehrt hat man es mit einem gewissen Einfühlungsvermögen oft leichter – in Beruf, Beziehung und in allen anderen Lebenslagen.
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