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Darauf hoffen Männer ab 45 schon lange: eine Früherkennung von Prostatakrebs, die hält, was sie verspricht. Genau das soll die im März lancierte App Prostate Check leisten. Sie trage dazu bei, dass der häufigste Männerkrebs «rechtzeitiger und effizienter» erkannt werde, wirbt die Stiftung Prostatakrebsforschung Schweiz in ihrer Ankündigung. Der Nutzen des sogenannten PSA-Tests, der Hinweise auf Prostatakrebs im Blut findet, werde «drastisch verbessert». Was nicht erwähnt wird: Der PSA-Test ist unter Fachleuten zumindest umstritten. Gremien wie das beachtete Swiss Medical Board raten gar davon ab.
«Die App bringt in der Praxis weder für den Arzt noch den Patienten etwas», sagt Hans-Peter Schmid, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Urologie (SGU). Der Chefarzt am Kantonsspital St. Gallen kritisiert unter anderem die Berechnungen des Krebsrisikos auf eine Kommastelle: «Das sieht exakt aus, ist aber ausserhalb der Forschung irrelevant.» Der PSA-Wert könne von Tag zu Tag um 30 Prozent schwanken, ohne dass dies medizinisch eine Bedeutung habe. «Es besteht die Gefahr, dass am Ende mehr unnötige PSA-Tests durchgeführt werden wegen der App.»
Noch wenig Nutzer
Prostate Check ist eine von fast zahllosen Gesundheits-Apps, nicht wenige mit zweifelhaftem Nutzen. Wie viele es zurzeit gibt, weiss niemand so genau. Laut einem Bericht im «Deutschen Ärzteblatt» existieren rund 87 000 Angebote für den Bereich Fitness/Wellness und etwa 55 000 medizinische Apps. Der Bereich verzeichne zurzeit das grösste Wachstum unter den rund drei Millionen Apps, die heute erhältlich sind. Die Anwendungen reichen vom Schritt- und Kalorienzähler über das Schmerztagebuch bis zur Hautkrebsfrüherkennung. Smartphones können mithilfe des eingebauten Mikrofons als Stethoskop genutzt werden oder Schlafstörungen erkennen, wenn sie im Bett platziert werden. Mit Zusatzgeräten lassen sich zum Beispiel auch ein EKG ableiten oder der Blutdruck bestimmen.
Den Möglichkeiten scheinen keine Grenzen gesetzt. In der Schweizer Bevölkerung sind die Apps allerdings noch nicht wirklich angekommen. In einer Telefonbefragung des Forschungsinstituts GFS Bern unter 1000 Stimmberechtigten gaben gerade mal 6 Prozent an, Gesundheits-Apps zu nutzen. Meist handelte es sich dabei um Apps für Fitness und Bewegung, komplexere Anwendungen etwa zur Überwachung des medizinischen Zustands wurden hingegen kaum heruntergeladen.
Apps als Medizinprodukte
Die Befragung ist über ein Jahr alt, und wahrscheinlich sind die Nutzerzahlen seither deutlich gestiegen. Doch grundsätzlich ist Zurückhaltung angebracht, das zeigt auch das Beispiel Prostate Check. «Bei solch problematischen Apps müssten eigentlich die entsprechenden Fachgesellschaften aktiv werden», sagt Urs Stoffel, Chirurg und im Zentralvorstand des Ärzteverbands FMH zuständig für E-Health. Er betrachtet die Flut von Gesundheits-Apps mit gemischten Gefühlen. Die Anwendungen dürften durchaus dazu beitragen, die Behandlung bei chronisch Kranken zu verbessern und ihnen mehr Selbstverantwortung zu geben. Etwa bei Diabetikern, die mit Bewegungsprofil, elektronischem Kalorientagebuch und den Blutzuckerwerten ihre Insulindosierung optimieren können.
Apps wie Schrittzähler, die dazu führen, dass sich Menschen mehr bewegen, würden sicher auch einiges für die Motivation und Prävention bringen. «Sinnvolle Anwendungen werden sich mit der Zeit durchsetzen, und vieles wird aber auch wieder verschwinden», glaubt Stoffel.
Doch eigentlich müssten nicht die Zeit und die Nutzer für die Qualität der medizinischen Apps sorgen. Es wäre die Aufgabe der Regulierungsbehörden. Was die meisten Nutzer, aber oft auch Anbieter und medizinische Fachpersonen nicht wissen: Für Swissmedic in der Schweiz, aber auch für die entsprechenden Behörden in Europa oder die US-amerikanische FDA gelten Apps oftmals als Medizinprodukte. Je nach Verwendung werden sie gleich behandelt wie Hüftgelenke, Rollstühle, Dialysegeräte oder andere Software für medizinische Anwendungen. Ausgenommen sind Apps wie Tagebuchanwendungen, Schrittzähler oder Nachschlagewerke.
Reguliert wie Kondome
Hersteller von Medizinprodukte-Apps müssen in einem sogenannten CE-Konformitätsverfahren nachweisen, dass ihre Anwendung sicher ist und die versprochenen technischen und medizinischen Leistungen erfüllt. Zusätzlich muss Swissmedic darauf achten, dass Smartphone-Anwendungen keine unzulässige Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel machen.
Heikel sind zum Beispiel die Verhütungs-Apps, welche an die Einnahme der Pille erinnern oder die fruchtbaren Tage der Frau bestimmen, damit sie dann verhüten kann. Softwarefehler können dabei leicht zu ungewollter Schwangerschaft führen. Deshalb müssten sie wie zum Beispiel Kondome CE-zertifiziert und auch so gekennzeichnet sein. Laut Fachleuten um Urs-Vito Albrecht von der Medizinischen Hochschule Hannover ist dies aber eigentlich nie der Fall. Wenn die Pillen-Erinnerungs-App am Ende noch ein bestimmtes Produkt hervorhebt oder gar deren Bestellung erleichtert, wäre dies zudem unzulässige Werbung für ein verschreibungspflichtiges Medikament.
Dosierung falsch berechnet
Die schiere Menge von Apps ist für die Behörden kaum zu bewältigen. Swissmedic hat bisher gerade mal vier Fälle vorliegen, bei denen Massnahmen ergriffen werden mussten: Eine Diabetes-App zeigte fehlerhafte Blutzuckerwerte an und brauchte ein Update. Eine Rheuma-App mussten die Nutzer löschen, weil sie falsche Krankheitswerte berechnete. In einem weiteren Fall steuerte eine Anwendung einen Zahnbohrer fehlerhaft und musste deshalb aus dem Appstore entfernt werden. So wie auch eine Medikamenten-App, welche die Dosierung eines Antibiotikums falsch berechnete.
Swissmedic überwacht den Markt der Medizin-Apps dabei nicht aktiv. Die Behörde reagiere auf Hinweise und «wo die Sicherheit von Patienten, Anwendern oder Dritten besonders gefährdet ist», heisst es bei Swissmedic. Dabei bestünde eigentlich eine Meldepflicht für Fachleute, doch diese werde nur in der Minderheit der Fälle wahrgenommen. «Es ist generell ein grosses Problem, dass unerwünschte Vorkommnisse bei Medizinprodukten kaum je gemeldet werden», sagt Lukas Jaggi, Sprecher von Swissmedic. «Medizinische Fachpersonen sind sich meist nicht bewusst, dass eine Meldepflicht besteht.» Zudem hätten die für die Apps verantwortlichen Informatikfirmen meist keine Ahnung von den Regulierungsanforderungen im Medizinbereich.
«Apps und ähnliche Anwendungen verändern zurzeit das Gesundheitswesen unumkehrbar», sagt Andréa Belliger, Co-Leiterin des Instituts für Kommunikation Führung (IKF) und Prorektorin der Pädagogischen Hochschule Luzern. Verzögert geschähen ähnliche Umwälzungen wie in der Musik- oder Medienbranche. «Über die Folgen muss unbedingt diskutiert werden», so Belliger. Sie sieht die heiklen Punkte vor allem beim Umgang mit den Daten: Wem gehören sie? Wie sicher können und sollen sie sein? Zudem sollten sich die Gesundheitsfachleute vermehrt mit den entsprechenden Apps auseinandersetzen und Nutzern Hilfestellung leisten können. Denn so viel ist für Andréa Belliger klar: «Apps ersetzen zwar nicht die Expertise der Fachleute, könnten aber zu einer Demokratisierung des Themas Gesundheit führen.»
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 20.05.2015, 23:05 Uhr
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1 Kommentar
Ralf Schrader
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Wildwuchs herrscht auch in der sprachlichen Beschreibung dieser technischen Lösungen, die nur Vital-, aber keine Gesundheitsdaten messen. Durch ärztliche Interpretation können daraus medizinische, aber immer noch keine Gesundheitsdaten werden.
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