Von Psychologie aktuell Gastautor Alex Blumenthal.
Es war auf und ab gegangen mit David*, meinem Chatfreund seit Jahren. Er war sehr krank, Borderline. Wir hatten uns in einer Selbsthilfegruppe kennengelernt und immer mal wieder geschrieben. Meistens zu den unmöglichsten Zeiten - ein gestörter Schlaf ist häufig, wenn das Hirn nicht so will wie es soll. Unser letzter Chat war ein Gruß:
"Wünsche dir ein Wochenende, das schön wird :-)"
"Danke ebenfalls :-)"
48 Stunden später war David tot.
Wir kannten uns nur online. Dafür schon sehr lange. David hatte Borderline in seiner schlimmsten Form. Er hatte alles durch. Therapien, Ärzte, Kliniken - doch keiner konnte ihm wirklich helfen. Schlimmer noch: sein letzter Klinikaufenthalt muss in einem Desaster geendet haben:
"War in der Psychiatrie bis Mittwoch, fast 4 Monate. Bin wegen nem Rückfall rausgeflogen."
Das war zwei Monate vor seinem Suizid.
Freitod nennen die Menschen es. Aber dieser Tot war alles, nur nicht frei. David war das Opfer einer schrecklichen Erkrankung. Wer in Borderline irgendetwas anderes sieht, begeht einen schlimmen Fehler. Die Erkrankten werden zu Geiseln ihrer aus den Fugen geratenen Hirnchemie.
David war ein witziger, charmanter und lieber Kerl. Niemals hätte sich dieser starke junge Mann umgebracht, wenn sein erkranktes Gehirn ihn nicht dazu gezwungen hätte.
Sein viel zu früher Tod mahnt uns alle: psychische Leiden müssen noch ernster genommen werden. Und es kann nicht sein, dass Menschen, vor allem wenn sie so schwer erkrankt sind, aus irgendwelchen Therapien, Kliniken oder Maßnahmen "rausfliegen", weil sie nicht ins Konzept passen oder irgendwelche Regeln nicht beachten.
Diese Menschen sind krank, da kann das schon mal passieren. David wäre jedoch bei Weitem nicht der erste Patient, der aus einer Therapie fliegt.
Nimmt man zum Beispiel während einer Reha Drogen, kann diese schnell beendet sein. Der Patient findet sich dann daheim wieder statt in einer noch besseren Therapie. Klingt irre, ja ist es. Trotzdem passiert es.
Ich glaube, was David mir geschrieben hat, denn ich kenne es aus eigenem Erleben. Man fällt schnell durch ein Raster, vor allem wenn man an einer etwas komplexeren, also vielschichtigen Erkrankung leidet. David war äußerlich ein starker, smarter Typ. Ein feiner Kerl, der aussah, als könne ihn nichts umhauen. War es ein Wunder, dass man sein Leiden nicht ernst genommen hat? Er wusste und sagte es:
"Die Leute nehmen nur Krankheiten ernst, die sie sehen..."
Doch es half nichts.
Hätte David ein halbes Bein gefehlt, der halbe Ort wäre für ihn aufgestanden. So musste er aber damit leben, dass viele sich insgeheim dachten, "na, der stellt sich vielleicht doch nur ein bisschen an". Welch eine Schande!
Ruhe in Frieden David. Du warst einer von den Guten!
*Name von der Redaktion geändert.
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