Mojmir Hlinka ist Direktor der Züricher Vermögensverwaltung AGFIF International
boerse.ARD.de: Es ist April und "Sell in May" ist wieder in aller Munde. Herr Hlinka, was halten Sie von solchen Börsenregeln?
Mojmir Hlinka: Das sind nur dumme Sprüche. Sich solche Floskeln zu Eigen zu machen und sogar sein Anlageverhalten danach auszurichten, ist ein klassisches Fehlverhalten. Solche Börsenregeln sind nicht mehr up-to-date, man muss sich an die Fakten halten. Und die Fakten zeigen, dass diese Rally nach wie vor Potenzial hat. Auch oder gerade weil die Stimmung am Markt derzeit so schlecht ist.
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boerse.ARD.de: Sie beobachten die Märkte aus einem ganz speziellen Blickwinkel, nämlich aus der Perspektive der Behavioral Finance. Welche Rationalitätsfallen lauern denn im derzeitigen Börsenumfeld für die Anleger?
Hlinka: Die größte Falle für Anleger ist sicherlich der All-Time-High-Bias. Viele Investoren glauben, die Märkte könnten nicht mehr weiter steigen, schließlich hätten sie ja in der Vergangenheit schon kräftig zugelegt. Dahinter steckt auch der Irrglaube des perfekten Timings. Ich kann nicht unten kaufen und ganz oben verkaufen. Jeder Anleger muss sich klar machen: Nach der Gewinnmitnahme ist vor dem Investment, nach dem Verkauf ist vor dem Kauf. Für jeden langfristig orientierten Anleger gibt es aber derzeit zur Aktie keine Alternative.
Behavioral Finance
Die Behavioral Finance beschäftigt sich mit der Psychologie der Anleger. Sie widerspricht klar dem Bild des Homo oeconomicus, der alles weiß und stets effizient und rational handelt. Stattdessen will sie aufzeigen, wie Anlageentscheidungen tatsächlich zustande kommen und welche Fehler Anleger dabei immer wieder typischerweise machen.
boerse.ARD.de: Warum?
Hlinka: Dem Menschen ist nun einmal ein Streben nach Sicherheit angeboren. Und was bietet Anlegern die größte Sicherheit? Richtig, der Cashflow. Anleger können derzeit mit Aktien so hohe Dividendenrenditen kassieren wie noch nie in der Geschichte zuvor. Das Cashflow-Niveau ist bei keiner anderen Asset-Klasse so hoch wie bei Aktien.
boerse.ARD.de: Trotzdem dürfte der jüngste Kursverfall erheblichen psychologischen Schaden angerichtet haben. Schließlich ist der Dax nun schon dreimal daran gescheitert, die runde Marke von 8.000 Punkten nachhaltig zu überwinden…
Hlinka: Der psychologische Schaden ist definitiv gegeben. Das erneute Scheitern an der 8.000-Punkte-Marke hat wieder Ängste hervorgerufen. Und Angst ist bekanntermaßen der schlechteste Ratgeber. Ein rationaler Schaden sollte hingegen nicht entstanden sein, weil diese Marktreaktion absolut gesund ist. Weder die Rally noch die Korrektur sind homogen verlaufen. Die Anleger haben vielmehr sehr genau unterschieden, welche Aktien sie gekauft oder verkauft haben. Diese Rally steht weiterhin auf fundamental sehr soliden Füßen.
boerse.ARD.de: Der Dax könnte also den Kampf um die 8.000 bald wieder aufnehmen?
Hlinka: Ich gehe sogar davon aus, dass wir dieses Jahr noch neue Allzeithochs sehen werden.
Münchener Rück
Kurs
156.00
Differenz absolut
0.05
Differenz relativ
+0.03%
Hannover Rück
Kurs
62.63
Differenz absolut
-0.39
Differenz relativ
-0.62%
boerse.ARD.de: Und welche Einzel-Titel sehen aus verhaltensökonomischer Sicht derzeit besonders viel versprechend aus?
Hlinka: Wenn in Europa die Konjunktur anspringt und es eine politische Lösung bei der Euro-Krise, speziell in Italien, gibt, dann werden Bank-Titel die Rally anführen. Wir haben es hier mit einer klassischen Turnaround-Situation zu tun, Chancen und Risiken sind enorm hoch. Für sehr attraktiv halte ich zudem die Rückversicherer und Versicherer. Denn: "Cashflow is King". Unternehmen, die keine Probleme haben, die derzeit hohen Dividenden zurückzuverdienen, dürften weiterhin die Nase vorn haben. Von Autoherstellern und -zulieferern, die stark im europäischen Raum orientiert sind, würde ich hingegen weiterhin die Finger lassen.
Gold in US-Dollar
Kurs
1447.55
Differenz absolut
16.25
Differenz relativ
+1.14%
Dax
Kurs
7763.49
Differenz absolut
4.46
Differenz relativ
+0.06%
boerse.ARD.de: "Sichere Häfen" werden in der Tat zunehmend rar. An Gold dürfte sich wohl künftig kaum noch ein Privatanleger die Finger verbrennen wollen…
Hlinka: In der Tat hat der Gold-Crash enormen psychologischen Schaden angerichtet. Die Anleger fühlen sich von Gold im Stich gelassen. Das gelbe Edelmetall fungiert plötzlich nicht mehr als der sichere Hafen, als der er uns jahrelang verkauft wurde. Doch es gibt nicht nur emotionale Gründe, die derzeit gegen Gold sprechen, sondern auch rationale: So zahlt Gold keine Dividenden oder Kupons und bietet daher auch keinen zuverlässigen Schutz vor Inflation. Gold ist ein totes Investment mit einem nicht unerheblichen Fremdwährungsrisiko. Das sind die Gründe, weshalb ich in den letzten Jahren und Monaten zunehmend vor einem Investment in Edelmetalle gewarnt habe.
Das Gespräch führte Angela Göpfert.
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