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Die Zeichen der Zeit

Von Von Liliane Minor.
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Kurse in Zwergensprache boomen. Sie versprechen Eltern eine bessere Kommunikation mit ihren Babys und positive Effekte auf die Intelligenz des Kindes. Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht.

Eine Kursleiterin zeigt zwei Kleinkindern den Begriff für «Katze». Foto: Danny Gohlke (DDP)

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Krücke für Sprech-Behinderte

Einfache Handzeichen werden auch in der Kommunikation mit Behinderten eingesetzt, zum Beispiel wenn deren Sprechmotorik eingeschränkt ist. Allerdings ist die Absicht eine andere als bei den Babyzeichen: In der Kommunikation mit Behinderten geht es – anders als bei Babys – um Menschen, denen der normale Weg der altersgerechten Kommunikation nicht offensteht. Die Zeichen sollen sie nicht in erster Linie zum Sprechen führen, sondern ihnen einen alternativen Weg ebnen, um sich ihren Mitmenschen mitteilen zu können. Bildlich gesprochen, sind die Zeichen eine Art Krücke. Kinder mit Trisomie 21 beispielsweise wissen oft genau, was sie wollen, können sich aber nicht verständlich genug ausdrücken. Hier können Handzeichen die Erziehung massiv vereinfachen. (leu)

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Vier Mütter sitzen in einem Kirchgemeindehaus in St. Gallen um eine Krabbeldecke, auf der sich vier Kleinkinder tummeln. Auf das Kommando «Traktor» der Kursleiterin Isabelle Vacchariello machen die Mütter weit ausholende Gesten, als hätten sie ein riesiges Steuerrad in der Hand. Die Leiterin sagt «Schiff», und die Mütter formen mit den Fingerspitzen einen imaginären Bug. Derweil signalisieren jene, denen das Spektakel gilt, freundliches Desinteresse.

Für Elina ist David viel faszinierender, der am Kursheft seiner Mutter knabbert. Timo stösst ein Plastikauto hin und her, während Diego an einer Rassel leckt. Dass ihre Mütter angeblich gerade die Grundlage für eine schnelle Kommunikation mit den Kleinen legen, kümmert sie nicht.

Ansprechende Vermarktung

Babyzeichensprache oder Zwergensprache heisst das Konzept, das ursprünglich aus den USA stammt. Gelernt wird die Sprache in Kursen, die zehn Lektionen umfassen. Das Angebot schliesst offenbar eine Marktlücke: In der Deutschschweiz werden immer mehr Kurse angeboten. Kein Wunder, die Promotorin der Babyzeichen, die Deutsche Vivian König, verspricht auf ihrer Website und in Prospekten eine Antwort auf die Frage, die sich Eltern von Babys am häufigsten stellen: Was will das Kind?

Dank einfacher Handzeichen, verbunden mit einer deutlich gesprochenen Sprache, könnten die Kleinen dazu gebracht werden, ihre Bedürfnisse mitzuteilen – lange bevor sie reden – und etwa nach «Milch» zu verlangen. Trotzanfälle und Quengelphasen liessen sich so massiv reduzieren.

Sprechen Kinder so früher?

Und nicht nur das. Weiter verheisst die Website: «Forschungen in Amerika haben gezeigt, dass durch Babyzeichensprache das Sprechenlernen stark erleichtert wird.» Babyzeichen förderten die Gehirnentwicklung optimal, da sie rechte und linke Gehirnhälfte gleichzeitig stimulierten. Das lasse sich noch im Schulalter in Intelligenztests nachweisen.

Tatsächlich gibt es eine Reihe von Forschungen und Publikationen zu positiven Effekten der Babyzeichen. Bloss genüge keine davon wissenschaftlichen Kriterien, sagen Forscher im deutschsprachigen Raum. Das gilt selbst für die meistzitierten Studien, jene von Linda Acredolo und Susan Goodwyn. Die beiden amerikanischen Sprachwissenschaftlerinnen haben das «Babysigning» entwickelt und vermarkten es heute.

Kritische Stimmen

In den meisten Studien sind nach Ansicht der Forscher nur schon die Probandengruppen zu klein. Ein weiteres grosses Problem besteht in der Verblindung: Die Studien können nicht ausschliessen, dass die geschilderten positiven Effekte wirklich den Babyzeichen geschuldet sind und nicht einfach daraus resultieren, dass sich die Eltern intensiver als andere mit dem Kind beschäftigen und dabei einen besonderen Fokus auf die Sprache legen. «Es gibt bisher keinen empirisch fundierten Beleg dafür, dass sich Babyzeichen positiv auswirken», sagt Mechthild Kiegelmann. Die Entwicklungspsychologin an der Universität Tübingen hat bereits einige Fragen im Zusammenhang mit den Babyzeichen untersucht.

Für Oskar Jenni, Leiter der Abteilung für Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich, sind die positiven Resultate in den Studien keine Überraschung, aber auch kein Beweis für eine spezifische Wirksamkeit der Babysprache: «Jeder intensive Austausch mit dem Kind – ob Babyzeichen, Sprache, Mimik oder Berührungen – hat positive Auswirkungen auf das kindliche Verhalten. Die Frage ist, ob sich das positiv auf die Entwicklung auswirkt.» Das aber wurde im Fall der Babyzeichen nie erforscht.

«Babyzeichen sind harmlos»

Was aber weiss die Forschung über die Babyzeichen? Nicht viel. Einzelne Wissenschaftler warnen vor einer verzögerten Sprachentwicklung, wenn die Babys auch Gebärden lernen. Mechthild Kiegelmann hingegen ist überzeugt: «Babyzeichen sind harmlos. Aber es braucht sie nicht.

Auch ein dreimonatiges Kind kommuniziert, und zwar deutlich.» Ihre eigene Forschung habe zwar leicht positive Effekte auf den Wortschatz von 18 bis 20 Monate alten Kindern gefunden: «Aber der Vorsprung verliert sich», sagt Kiegelmann. «Die Babyzeichen sind vergleichbar mit Stützrädern: Sie machen Spass, aber die Kinder lernen das Velofahren auch ohne.»

Kunstsprache ohne Grammatik

Bettina Lamm, Psychologin an der Uni Osnabrück, ist skeptischer. Auch in Osnabrück ist viel zum Thema verbale und nonverbale Kommunikation zwischen Eltern und Kindern geforscht worden. Lamm kritisiert, die Babyzeichen seien eine stark vereinfachte Kunstsprache ohne Grammatik, sozusagen Einwortsätze in Gebärdensprache. Vereinfachungen brauche es aber bei gesunden Kindern nicht, im Gegenteil: «Kinder lernen schneller sprechen, wenn Eltern nicht in Babysprache mit ihnen reden.»

Unwahrscheinlich scheint aus wissenschaftlicher Sicht, dass die Babyzeichen die kognitive Entwicklung der Kinder langfristig verbessern. Jenni verweist auf Studien, die sogenannte Transfereffekte untersuchen: Bislang konnte noch niemand nachweisen, dass Kinder später intelligenter und erfolgreicher werden, wenn sie als Kleinkinder sprachliche oder motorische Aufgaben üben.

Kein Mittel gegen Quengeln

Auch die Behauptung, der Stresspegel sinke, wenn die Kinder dank der Babyzeichen ihre Bedürfnisse anmelden könnten, ist kaum haltbar. In einer Befragung von gebärdenden Eltern hat Kiegelmann dafür keine Beweise gefunden. Sie hält es für problematisch, die Babyzeichen als Hilfe gegen Quengelanfälle anzupreisen: «Die Gefahr besteht, dass die Kinder ihre Bedürfnisse ausdrücken müssen, statt dass die Eltern sie erraten.»

Hilda Geissmann, Leiterin der Abteilung Logopädie am Kinderspital, sieht das ähnlich: «Die Eltern kommen ohnehin nicht ums Raten herum, das gilt auch, wenn ein Kind das Zeichen für Milch macht. Dann gilt es, zu interpretieren: Hat das Kind Hunger, oder hat es einfach eine Milchpackung gesehen?»

Das hat auch mit der kognitiven Entwicklung zu tun: Sie hält in etwa Schritt mit den kommunikativen Fähigkeiten der Kinder. Ein Säugling kann kognitiv wie kommunikativ nur einfache Bedürfnisse «benennen», etwa Hunger, Müdigkeit oder Schmerzen. «Wenn Eltern nicht psychisch krank sind, dann lernen sie schnell, was ihr Kind braucht», sagt Jenni.

Zu früh für komplexe Bedürfnisse mitzuteilen

Um komplexere Bedürfnisse mitzuteilen, brauche das Kind hingegen eine entwickelte Eigenwahrnehmung, und die komme erst mit 18 bis 24 Monaten – wenn die Kinder schon reden.

Lamm nennt noch einen weiteren Grund, weshalb es Trotzanfälle nicht unbedingt verhindert, wenn Kinder sagen können, was sie wollen: Sie hat den Erziehungsstil einer traditionell lebenden, hierarchischen Gesellschaft in Kamerun untersucht und mit hiesigen Erziehungsvorstellungen verglichen. Dabei hat sich gezeigt, dass das Konfliktpotenzial eher verstärkt wird, wenn Kinder früh ermuntert werden, ihre Bedürfnisse auszudrücken. Denn irgendwann müssen die Eltern ihnen klar machen, dass sie nicht jeden Wunsch erfüllen können. Spätestens dann brüllt das Kind.

(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

Erstellt: 21.07.2012, 14:28 Uhr


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