Irgendwo an der Schwelle zwischen Physik, Psychologie und Kunst befindet sich die Fotografie. Und in ihr – zumindest in der heute am weitest verbreiteten Farbfotografie – die Lehre der Farben. Sie umgeben uns täglich, und wir absorbieren sie mit aller Natürlichkeit, doch wirft man einmal einen fragenden Blick auf das Phänomen „Farbe“, zieht es einen in seinen magischen Bann. So wie Goethe vor gut 200 Jahren, geriet der Fotograf Károly Szelényi in den Sog der Farbforschung und schuf ein umfassendes Farbenlehre-Buch, welches nun auf Deutsch und auf Ungarisch erschienen ist. Ein Interview mit dem Künstler und Autor.
Herr Szelényi, Sie fotografieren nun schon seit gut fünfzig Jahren. Insbesondere haben Sie sich auf das Fotografieren von Kunstobjekten, später auf Landschaften spezialisiert. Wie kommt es, dass Sie nun ein Farbenlehre-Buch herausgeben?
Károly Szelényi: Die Farbfotografie hat mich immer schon interessiert. Der Pionier in Ungarn auf diesem Gebiet war Imre Berty, und wo immer er einen Vortrag gehalten hat, ich saß in der ersten Reihe. In seiner Firma habe ich angefangen zu fotografieren. Von dort geriet ich dann 1965 zum Corvina Verlag, die nach italienischem Vorbild ein Kunstarchiv erstellen ließen. Nebenbei begann ich an der Hochschule für Angewandte Kunst zu unterrichten. Ende der 80er Jahre gründete ich mit meiner Frau Aranka einen eigenen Verlag, Magyar Képek Kiadó. Anhand dieser Arbeiten bat mich József Cserny, Professor an der Universität Sopron, eine Vorlesung über Farbenlehre zu konzipieren. Für diese fing ich vor fast 17 Jahren an, ein Lehrbuch zu erstellen. Damals kam auch meine Idee mit dem Ei auf.
Ja, das Ei, passend zur Saison. Ihr Lehrbuch ist durchsetzt von Fotos eines beleuchteten Eies. Was hat es damit auf sich?
Ich bin eines Tages draufgekommen, dass die Form des Eies eine perfekte Fläche ist, auf der man Licht-, Gestalt- und Farbenlehre vorführen kann. Zum einen ist uns die Gestalt so innig bekannt, eine Ur-Form; zum anderen, wenn man so ein schneeweißes Ei vor sich hält und die Fläche betrachtet, verzaubert es, wenn man entdeckt, wie sich in der oberen Hälfte der blaue Himmel spiegelt.
Um die Farben auf dem Ei gut fotografieren zu können, haben sie eigens ein Gerät konstruiert.
Das Ei ist auf einem Glasstock befestigt und wird von drei Lampen beleuchtet. Wenn wir zum Beispiel die drei Farben als Violett, Grün und Orange einstellen, kommen in den Schnittstellen die reinen Farben Gelb, Magenta und Cyan heraus. Und in der Mitte wird es Weiß. Das Gerät kann aber auch einfach als Farbspiel angesehen werden, ein Freund, ein Wiener Psychologe, hat schon einen Nachbau bestellt.
Goethe spielt eine besondere Rolle in ihrem Buch.
Wenn man es sich genau anschaut, stellt man fest, dass Goethe ziemlich genau ins Schwarze getroffen hat, damals. Goethe hat nicht nur wie Newton das Prisma zur Auffächerung des Lichts benutzt, sondern hat es genommen und hineingeschaut. Das war 1791. Er hat am Übergang zwischen Weiß und Schwarz alle sechs Farben des heutigen Farbkreises entdeckt.
Nur hat er der Farbenlehre Newtons widersprochen…
Ja, er hat nicht nur die Farben des Regenbogens gesehen. Wir sagen ja allgemein, dass dieser das ganze Farbspektrum repräsentiert, dem ist nicht so, weil dort die Farbe Magenta, die Komplementärfarbe von Grün, fehlt. Ich habe nun dieses Prismaexperiment nicht nur wiederholt, sondern auch vor das Objektiv gestellt. Was Goethe damals auf Karten malen ließ, zeige ich in dem Buch auch als Fotografie. Damit beweise ich sozusagen bildlich die Entstehung des sechsteiligen Farbkreises in Goethes Theorie. Ich weiß von niemandem, der das schon gemacht hätte.
Der Untertitel der deutschen Ausgabe lautet „Die Taten des Lichts“ frei nach Goethe, der die Farben als die „Taten und Leiden des Lichts“ angesehen hat. Dies ist eine sehr poetische Herangehensweise an Farben, auch an die Physik. Kann man dem Buch die These unterstellen, dass man die Entfernung der Physik von der Ästhetik, den praktischen Künsten und auch der Psychologie nicht überschätzen sollte?
Sie treffen den Punkt. Der Fotograf kann durch Filter und Licht die Farben gewinnen, die er braucht, aber das ist nur die Theorie der Sache. Farben haben noch andere Eigenschaften.
Ein Beispiel: Goethe meint, dass die Farbe Gelb die Eigenschaft hat, „nach außen“ zu wirken, wohingegen die selbe Fläche in Blau den Blick eher „nach innen“ lenkt.
Ja, diese Aussage beruht auf psychologischer Beobachtung. Kandinsky und Rudolf Steiner zum Beispiel haben sich viel mit dem Thema beschäftigt. Es wäre sehr interessant zu sehen, welche Erklärungen die Physik hierzu finden könnte. Blau hat ja bekanntlich die kürzeste Wellenlänge und gelb eine viel längere.
Farben haben auf jeden Fall Wirkungen auf uns, und wir reagieren verschieden auf Wahrgenommenes, dass kommt in dem Buch gut zur Geltung.
Sinn der Sache ist, dass der Mensch da hineinspielt. Wenn man eine Farbe sieht, lässt das Gehirn immer die Komplementärfarbe erscheinen. Hier, wenn ich diesen Ball zum Beispiel mit einem grünen Licht beleuchte, erscheint der Schatten rötlich. Wenn ich jetzt aber neben Grün nicht Magenta stelle, sondern etwas anderes, dann nervt das wahnsinnig, weil das Gehirn das Gleichgewicht herstellen möchte.
Sie erzählen von dem Thema so begeistert, was sind die weiteren Pläne?
Ich habe gemerkt, dass die Menschen wie zu einem Rauschgift eine magische Anziehung zu Farben verspüren. So ging es Goethe auch. Nach seiner Entdeckung im Prisma hat er sich vierzig Jahre lang mit der Farbenlehre befasst. Auch ich bastele munter weiter an meinen Farbspielen. Die Farbenscheibe, die dem Buch beigefügt ist, plane ich demnächst groß nachzubauen. Auch bastele ich gerade an einem Farbenschach… auf dem Gebiet ist immer etwas zu machen.
Wir danken für das Gespräch.
Károly Szelényi
„Farben, die Taten des Lichs
Goethes Farbenlehre im Alltag“
E.A. Seemann Verlag, Leipzig.
ISBN: 978-3-86502-289-9
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