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Die Qual der Wahl: Warum uns die Multiple-Choice-Gesellschaft nicht guttut und Entscheidungen so schwerfallen
Strandurlaub oder Wandertour? Heiraten oder nicht? In grossen und kleinen Lebensfragen können Entscheidungen zur Qual werden. Doch warum ist das so? Ein Erklärungsansatz.
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Wir haben gern die Wahl. Wir wählen zwischen Parteien, zwischen Partnern, zwischen Berufen, zwischen dem Häuschen in der Vorstadt und der Altbauwohnung im Szeneviertel. Wir überlegen, ob wir Kinder haben wollen oder nicht. Wir entscheiden, ob wir ein dickes SUV fahren, ein Cabrio oder lieber Velo. Wir suchen uns unsere Freunde aus, unseren Kleidungsstil, unseren Urlaubsort. So teilen wir der Welt mit, wer wir sind, wie wir uns sehen und worauf wir Wert legen. Wir wählen unsere Identität, unser Leben.
Diese Wahl zu haben, das bedeutet in unserer individualistischen Gesellschaft das Versprechen von Freiheit. Und Freiheit wiederum bedeutet das Versprechen von Selbstverwirklichung – und von Glück.
Aber warum sprechen wir dann von der «Qual der Wahl»? Warum ächzen und jammern und zögern wir, wenn wir wichtige Entscheidungen zu treffen haben? Kann es sein, dass viele Wahlmöglichkeiten nicht immer gut sind?
Jede Wahl ist auch ein Verzicht
Entscheidungen kosten Zeit, sie kosten Aufmerksamkeit und Kraft. All das sind wichtige, begrenzte Ressourcen im Leben. Wer herausfinden will, welcher Fernseher genau den eigenen Vorstellungen entspricht, muss so manchen Feierabend damit verbringen, sich in die technischen Details einzulesen und Preise zu vergleichen. Je grösser die Auswahl, desto schwieriger wird es, das «perfekte» Fernsehgerät zu finden. Entweder investiert man also viel Zeit, oder man muss hinterher mit dem Zweifel leben, ob man tatsächlich die bestmögliche Wahl getroffen hat. Beides ist nicht so toll.
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«Wenn es nur wenige Optionen gibt, können wir mit unserer Wahl glücklich sein, weil wir sicher sind, dass es die beste Wahl für uns ist», schreibt die kanadische Psychologin Sheena Iyengar. «Aber wenn die Optionen quasi endlos sind, glauben wir, dass irgendwo da draussen genau das richtige Angebot auf uns wartet und dass wir die Verantwortung dafür tragen, dieses auch zu finden.»
In einer Multiple-Choice-Gesellschaft wie der unseren ist es notwendig, täglich Dutzende, wenn nicht Hunderte Male zu wählen, in grossen und in kleinen Fragen. Wenn ich beim Italiener Pizza essen gehe, kann ich nicht im Fischrestaurant dinieren. Wenn ich den Urlaub am Strand von Gran Canaria buche, kann ich nicht in den Alpen wandern gehen. Jede Entscheidung für etwas ist auch eine Entscheidung gegen viele andere, attraktive Möglichkeiten. Anders gesagt: Jede Wahl ist auch ein Verzicht.
Wahlfreiheit und Verantwortung gibt es nur im Doppelpack
Psychologen sprechen bei diesem Verzicht von «Opportunitätskosten» oder «Alternativkosten» – und bei vielen Entscheidungen bekommen wir diese Kosten zu spüren. Wenn sich herausstellt, dass die Pizza nicht geschmeckt hat. Oder es auf Gran Canaria dauernd geregnet und gestürmt hat. Vielleicht wäre ja der Fisch leckerer gewesen? Oder der Wanderurlaub erholsamer? «Je stärker wir die Opportunitätskosten spüren, desto geringer die Befriedigung, mit der uns die gewählte Alternative erfüllt», erklärt der amerikanische Psychologe Barry Schwartz.
Schwartz geht davon aus, dass die Evolution den Menschen nicht gerade dafür prädestiniert hat, sinnvoll aus grosser Vielfalt auszuwählen. Jahrtausendelang lebten unsere Vorfahren in einer Welt des Mangels – jeder musste nehmen, was er kriegen konnte, um zu überleben, und die Frage, ob man lieber Mammut als Reh futtern wollte, stellte sich gar nicht. «Wenn wir heranwachsen, lernen wir alle, dass das Leben von uns verlangt, Entscheidungen zu treffen und auf Chancen zu verzichten», sagt Schwartz. «Doch unsere Evolutionsgeschichte ist dabei hinderlich. Zu wählen lernen ist schwer. Gut zu wählen noch schwerer. Und gut zu wählen in einer Welt unbegrenzter Möglichkeiten ist ungeheuer schwer, vielleicht sogar zu schwer.»
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In dem Masse, in dem wir selbst entscheiden, stehen wir ausserdem noch unter dem – selbst auferlegten – Zwang, uns richtig zu entscheiden. Wir können schliesslich niemand anderen dafür haftbar machen, wenn etwas schiefgeht. Wahlfreiheit gibt es nur im Doppelpack mit Verantwortung. Wer eine arrangierte Ehe eingeht, muss sich keine Vorwürfe machen, wenn sich die Beziehung dahinschleppt; wer seinen Lebenspartner aber selbst ausgesucht hat, muss sich fragen, ob er durch die rosarote Brille der Verliebtheit nicht so manches Problem übersehen hat. Das bedeutet eine nicht zu unterschätzende Belastung, denn zur Enttäuschung kommen dann noch die Selbstvorwürfe mit der bohrenden Frage, wie man bloss so falsch liegen konnte.
Die Wahl zu haben, ist nicht der einzige Weg zum Glück
Sheena Iyengar hat für eine Studie 600 Menschen aus neun verschiedenen Glaubensrichtungen nach ihrer Religiosität, ihrem Optimismus und ihrer Gesundheit befragt – von Angehörigen fundamentalistischer Religionen, die viele fromme Gebote und Verbote befolgen mussten, bis hin zu Anhängern liberaler Gruppen, deren Glauben ihnen nur wenige Verhaltensregeln vorschrieb. Zu Iyengars Überraschung waren die Fundamentalisten optimistischer und hoffnungsvoller als alle anderen, und sie neigten weniger zu Depressionen.
Ausserdem waren sie der Ansicht, dass sie viel Kontrolle über ihr Leben besassen. Die Tatsache, dass sie in vielen Fragen keine Wahlfreiheit hatten, sondern einfach die Regeln ihres Glaubens befolgten, raubte ihnen also durchaus nicht das Gefühl, über ihr Leben bestimmen zu können.
Die Wahl zu haben, so folgerte die Psychologin, ist also nicht der einzige – oder gar beste – Weg zu gefühlter Selbstbestimmung und zum Glück. Oder auch zum Erfolg: Im Jahr 210 vor Christus soll der chinesische Kriegsherr Xiang Yu eine Armee gegen die Truppen der Qin-Dynastie geführt haben. Während seine Soldaten schliefen, verbrannte er seine Schiffe und liess das gesamte Kochgeschirr zerstören. Am nächsten Morgen erklärte er seinen Gefolgsleuten, sie müssten entweder siegen oder aber sterben. Xiang Yus Armee gewann neun Schlachten in Folge. Sie hatte keine Wahl (ausser dem sicheren Tod). Das half den Soldaten, sich auf den Sieg zu konzentrieren.
In der heutigen Zeit neigen viele Menschen dazu, sich ihre Möglichkeiten offenzuhalten – auch wenn das überhaupt keinen Sinn ergibt, weil sie nur wenige davon nutzen können. Der amerikanische Psychologe Dan Ariely entwarf eine Versuchsanordnung, bei der die Teilnehmer seines Experiments beschliessen mussten, ob sie mehrere Türen offen lassen oder aber sich für eine Tür entscheiden wollten. Mehr Punkte gewannen sie, wenn sie eine eindeutige Entscheidung trafen – aber dazu konnten sie sich nicht durchringen. «Wir müssen anfangen, bewusst einige unserer Türen zu schliessen», sagte Ariely. «Wir sollten sie zumachen, weil sie Energie und Engagement von den Türen abziehen, die offen bleiben sollten – und weil sie uns in den Wahnsinn treiben.»
«Gut genug» statt «nur das Beste»
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Besonders Menschen, die Barry Schwartz die «Maximierer» nennt, sind dieser Gefahr ausgesetzt. Maximierer versuchen, bei jeder Wahl die absolut beste Lösung für sich zu erzielen – und betreiben dafür einen solchen Aufwand, dass sie sich oft unglücklich machen. Selbst nach einer kaum rückgängig zu machenden Entscheidung – etwa einem Autokauf – zweifeln sie noch und halten Ausschau nach Indizien, dass sie noch etwas Besseres hätten finden können. Vernünftiger ist dagegen das Verhalten von sogenannten «Satisficern» (von englisch: «satisfy», zufriedenstellen), die bei einer Wahl vor allem darauf achten, dass ihre Ansprüche erfüllt werden.
Sie wählen nach dem Kriterium «gut genug» statt «nur das Beste», sind also mit einem Kaschmirpulli zufrieden, der ordentlich aussieht und passt, statt dem feinfädigsten, leichtesten Kaschmirpulli aller Zeiten hinterherzujagen. Und die Satisficer werden erheblich zufriedener damit.
Aber bedeuten weniger Wahlmöglichkeiten nicht weniger Freiheit? Meistens nicht. Wir überschätzen im Regelfall stark, wie «frei» wir in unseren Wahlverhalten tatsächlich sind. Auch hierzu gibt es zahllose Studien, die nachweisen, dass wir uns in unserer Entscheidungsfindung geradezu lächerlich leicht manipulieren lassen. Schon dadurch, dass wir mehr Vergleichsobjekte vor der Nase haben, kaufen wir anders: Die kostspielige Brotbackmaschine einer Küchenzubehörkette war so lange ein Ladenhüter, bis die Kette eine noch teurere Maschine daneben stellte. Dann hatten die Käufer das Gefühl, ein Schnäppchen zu machen – und griffen reihenweise zu.
Wir haben gern die Wahl. Und ein Leben ganz ohne Wahlmöglichkeiten wäre in der Tat trostlos. Aber immer mehr Optionen sind keine Steigerungsform des Glücks. Die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, ist oft nicht das Schlechteste. Barry Schwartz sagt es so: «Die Wahl, wann wir wählen wollen, ist möglicherweise die wichtigste Wahl, die wir treffen können.»
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