"Entscheidend ist auf dem Platz", hat Dortmunds Spielerlegende Adi Preißler einst gesagt. Das stimmt, aber neben dem reinen Fußballtraining wird immer öfter in die mentale Trickkiste gegriffen: Mannschaften, die eine Negativserie haben, tauschen bei Heimspielen die Kabine mit dem Gegner. Trainer tragen immer wieder denselben (blauen) Pulli, solange die Siegesserie nicht reißt. Spieler bekreuzigen sich jedes Mal bei Betreten des Platzes. All diese Dinge können tatsächlich einen großen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg im Fußball haben. Das ist sogar wissenschaftlich bestätigt, erklärt Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule Köln. "Wir glauben, dass im Spitzensport, vor allem im Fußball, immer mehr über den Kopf entschieden wird." Natürlich seien auch Faktoren wie Ausdauer, Kraft und Koordination wichtig. "Aber hier bewegen sich viele Mannschaften auf einem ähnlich hohen Niveau. Der Kopf wird noch ein bisschen vernachlässigt", stellt der Leiter des Instituts für Kognitions- und Sportspielforschung fest.
Es gibt weitere Beispiele. So sollte, wer mit Köpfchen Fußball spielt, nicht immer die vermeintlich richtige Entscheidung treffen, also "konvergent" denken. Erfolgversprechend sei auch das "divergente" Denken, bei dem Kreativität gefragt ist: Spieler sollen auch in der Lage sein, originelle und überraschende Entscheidungen zu fällen, damit die Gegenspieler sich weniger gut auf sie einstellen können. Doch im Kopf finden weitaus mehr Prozesse statt als das bloße strategische Denken. Wer sich gut fühlt, ruft bessere Leistungen ab, als jemand, der in einem Tief steckt oder sich in seinem Umfeld nicht wohlfühlt, erklärt Sportpsychologe Memmert. "Wenn man weiß, dass der Spieler gern bei der Familie ist und dort Kraft tankt, ist es vielleicht keine gute Idee, einen Abend vor dem Spiel die Mannschaft im Hotel zusammenzutrommeln. Tatsächlich ist der Mensch die Ressource, die zum Einsatz kommt." Man müsse also alles dafür tun, damit der Athlet ein optimales Umfeld vorfindet, in dem er sich wohlfühlt und in dem er auch optimale Leistungen abrufen kann.
Körpersprache beeinflusst Gegenspieler
Aus Studien zum nonverbalen Verhalten geht hervor, dass auch die Körpersprache Einfluss auf Gegner und Mitspieler hat. Das ist vor allem bei Standardsituationen wichtig. "Wenn man dem Torwart als Elfmeterschütze mit breiter Brust gegenüber steht, bekommt der Schlussmann das Gefühl: Oh, der will treffen, das ist ein guter Schütze, den werde ich wahrscheinlich nicht halten", erklärt Memmert. "Wenn man dagegen mit eingezogenen Schultern und gebückt daher kommt, dann assoziieren das die Torhüter mit Schwäche und haben eher das Gefühl, dass sie den Ball halten können." Die Trainer arbeiten dieser negativen Körpersprache oft entgegen und rufen bei missratenen Aktionen oder Rückständen: "Kopf hoch, weiter geht's!" Das sei die richtige Anweisung.
Daniel Memmert: "Fußball wird im Kopf entschieden"
Auch beim Freistoß funktioniert das: Der portugiesische Superstar Cristiano Ronaldo etwa tritt mit einer sehr dominanten Körpersprache auf und zelebriert gewichtig jeden Freistoß. Genau richtig, haben Wissenschaftler herausgefunden. Positive Körpersprache gekoppelt mit immer wiederkehrenden Bewegungsabläufen seien eine besondere Form, wie man Leistung optimieren könne, erklärt Memmert. "Man muss Automatismen einstudieren. Man spricht dabei von mentalem Training. Es ist wichtig, um sich zu fokussieren, um die motorische Aktion, die hoch geübt ist, ablaufen zu lassen."
Fußballer sollten abergläubisch sein
Automatismen gibt es auch außerhalb des Platzes. Nicht nur Fans, auch Profifußballer greifen zu bestimmten Ritualen vor dem Spiel: Der Stürmer zieht erst den rechten Stutzen an, dann den linken, der Torwart schwört auf sein Maskottchen, der Tagesablauf am Spieltag wird immer gleich gehalten. Auch hier gilt: Es gibt etliche Forschungsergebnisse, die zeigen: Aberglaube hilft!
Sportwissenschaftler Memmert berichtet von einem Experiment, in dem zwei Gruppen Golfbälle erhielten, mit denen sie auf ein Golfloch spielen sollten. Der einen Gruppe erklärte man, sie habe den "Glücksball", mit dem schon viele getroffen hätten, den anderen gab man den vermeintlichen "Pechball". Und tatsächlich erbrachten diejenigen mit dem Glücksball bessere Leistungen als die mit dem Pechball. Ähnliche Ergebnisse gab es bei Studien mit Glücksbringern, die mitgebracht werden oder vorher abgegeben werden mussten. "In der Psychologie geht man davon aus, dass Selbstwirksamkeitsprozesse im Hintergrund mitschwingen", analysiert Daniel Memmert die verblüffenden Ergebnisse. "Man fühlt sich gut, man hat ein größeres Selbstbewusstsein, diese Aufgabe zu lösen, weil man weiß, dass man unterstützt wird, dass irgendetwas da ist, das einem positiv zusprechen kann. Aberglaube ist etwas, das man weiter im Fußball praktizieren sollte."
Schiedsrichter werden unbewusst manipuliert
Memmerts analysiert in seinem Buch Mythen im Fußball
Studien aus der Sportwissenschaft brachten auch zutage, dass Heimfans den Schiedsrichter beeinflussen können. Einen direkten Heimvorteil gebe es nachweislich zwar nicht, aber man wisse aus Experimenten, dass Fans die Anzahl der Gelben Karten beeinflussen können. "Auch wenn das die Schiedsrichter nicht gern hören werden: Auswärtsteams bekommen im Mittel eine halbe Gelbe Karte mehr pro Spiel als die Heimmannschaft", berichtet Memmert." Daraus ergibt sich auch ein Zusammenhang zum Spielergebnis." Ein bereits mit Gelb verwarnter Spieler spiele demnach vielleicht nicht mehr so körperbetont. Viele wissenschaftlich analysierte Anekdoten finden sich auch in Memmerts Buch "Der Fußball. Die Wahrheit: Fußballspiele werden im Kopf entschieden", das er gemeinsam mit Bernd Strauss und Daniel Theweleit verfasst hat. Wenn sich auch viele Mythen um den Fußball ranken, gibt es noch zahlreiche weitere Beispiele dafür, dass Fußball auch Kopfsache ist.