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Michèle Binswanger
Redaktorin Kultur
«Die Jugend ist heute weniger sexualisiert»
Dagmar Pauli
Ärztin für Kinder und Jugendliche
Als Chefärztin des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes (KJPD) des Kantons Zürich hat Dagmar Pauli (51) mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die aus den unterschiedlichsten Gründen vom KJPD behandelt werden. Ihre Spezialgebiete sind Familientherapie mit Kindern und Jugendlichen, Behandlung von Jugendlichen mit Essstörungen, Depressionen und Selbstverletzungen sowie Störungen der Geschlechtsidentität. Pauli ist ver-
heiratet, hat drei Kinder und lebt in Zürich. (TA)
Artikel zum Thema
- Ermutigende Sexualerziehung
- Ziemlich frühreif: Sexualerziehung für Kleinkinder
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Die Initiative «Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primarschule» ist offiziell zustande gekommen. Das teilte die Bundeskanzlei unlängst mit. Die Vorlage wendet sich gegen die Vorstellung, dass Kinder von Geburt an sexuelle Wesen seien und dass ihnen das auch vermittelt werden soll. Wie sehen Sie das?
Der Ausdruck «sexuelles Wesen» weckt bei Erwachsenen falsche Vorstellungen. Gemeint ist, dass bereits Neugeborene auf Körperkontakt angewiesen sind und auch aktiv das Bedürfnis nach Zärtlichkeiten haben. Kleine Kinder interessieren sich auch bereits für ihre Geschlechtsteile und spielen damit herum. Das ist eine Art von sexueller Lust, die aber nicht mit derjenigen eines Erwachsenen zu vergleichen ist.
Wann beginnen Kinder zu merken, dass diese Lustgefühle etwas Besonderes sind?
Bereits Babys registrieren unbewusst, wie die Mütter beim Waschen vorgehen, ob sie gehemmt sind und schamvoll vorgehen. Sie nehmen auch wahr, wenn Erwachsene zu sehr an Geschlechtsteilen manipulieren, was ja bereits ein Übergriff wäre. Deshalb ist es von Anfang an wichtig, dass Erwachsene unverkrampft an diese Sache herangehen.
Sie sprechen die Sexualerziehung im Elternhaus an – wie sinnvoll ist es, Sexualität schon im Kindergarten zu thematisieren?
Heute ist man von der Idee der Aufklärung als einmaligem Akt weggekommen und sieht Sexualerziehung als permanenten Prozess – darauf zielen ja auch die Richtlinien des Bundesamtes für Gesundheit ab. Wenn zum Beispiel ein Kindergartenkind das andere als schwul bezeichnet, kann man entweder sagen: So was sagt man nicht. Oder man kann das Thema aufgreifen und erklären, dass schwul kein Schimpfwort ist, sondern bedeutet, dass Männer zuweilen andere Männer lieben. Solche Themen nicht aufzugreifen ist auch eine Form von Sexualerziehung, einfach eine negative.
Die Gegner halten dem entgegen, dass die Kinder so allzu früh sexualisiert werden.
Offen über Sexualität zu kommunizieren heisst ja nicht, Kinder zur Zügellosigkeit anzuhalten und hat auch nicht diese Wirkung. Es geht darum, unseren Umgang mit Sexualität zu vermitteln, sowie Grenzen und unsere Vorstellung von Schamhaftigkeit aufzuzeigen. Es gibt ja auch Kinder, die zu wenig schamhaft sind, sich ausziehen und in der Öffentlichkeit präsentieren. Da muss dann zum Beispiel eine Kindergärtnerin einschreiten.
Heute haben ältere Schulkinder über ihre Smartphones Zugriff auf Pornografie.
Dieses Phänomen gibt es, auch sexuelle Belästigung kommt auf Schulhöfen vor. Aber tendenziell vermitteln die Medien ein falsches Bild, wenn sie über die «Generation Porno» schreiben. Studien zeigen, dass Jugendliche heute später erste sexuelle Kontakte eingehen als früher. Wenn Jugendliche in aktuellen Umfragen sagen, was ihnen in Beziehungen wichtig ist, stehen Begriffe wie Treue und Vertrauen zuoberst. Die Jungen sind heute, wo Infos leichter zugänglich sind, tendenziell weniger sexualisiert.
Was sind die Pfeiler einer guten Sexualerziehung?
Dazu gehört, dass ich den eigenen Körper bejahen kann, dass ich Begriffe wie Sexualität, Beziehung und Liebe in ein Verhältnis bringe und weiss, dass Sexualität auf Gegenseitigkeit beruhen sollte. Dazu gehört, dass ich Körper- und Geschlechtsteile bezeichnen kann und Bescheid weiss, wie alles funktioniert.
Warum müssen Kindergartenkinder wissen, wie die Geschlechtsteile heissen?
Wenn Kinder Begriffe besitzen, können sie eher Nein sagen, oder wenn etwas geschehen ist, darüber berichten. Zu einer guten Sexualerziehung gehört auch, die verschiedenen Formen der Sexualität zu vermitteln, zum Beispiel, dass es Homosexualität gibt und dass schwul kein Schimpfwort ist.
Warum müssen Kinder über Homosexualität Bescheid wissen?
Wenn solche Themen aufkommen, soll man sie aufgreifen. Kindern fällt auf, wenn etwas anders ist, wenn zwei Männer oder zwei Frauen zusammen sind. Dann interessiert es sie, warum das so ist. Im Kindergartenalter muss man nicht im Detail erklären, was die im Bett machen, das interessiert sie oft gar nicht. Und wenn, kann man eine kurze Antwort geben, ohne ins Detail zu gehen. Wichtig ist, dass es altersgerecht ist.
Die Initiative verlangt, dass der Aufklärungsunterricht freiwillig stattfinden soll. Ist das die richtige Lösung?
Davon halte ich gar nichts. Auch Kinder, deren Eltern mit diesem Thema Schwierigkeiten haben, sollen erfahren dürfen, wie sie sich vor einem sexuellen Übergriff oder einer Teenager-Schwangerschaft schützen können.
Die konservativen Kreise hinter der Initiative wollen die Aufklärung in die Familie verlegen. Kann die Familie das erledigen?
Ich bin mir sicher, dass ein grosser Teil der Eltern das sehr kompetent macht. Andere aber sind mit dieser Aufgabe überfordert, manche sind auch froh, dass die Schule da etwas übernimmt. Es geht dabei um Chancengleichheit in Bezug auf Information. Und um die Vermittlung von Werten wie Toleranz – auch im Bereich der Sexualität. Ausserdem müssen die verzerrten Informationen korrigiert werden, die Kinder ab dem Kindergarten ständig aufnehmen – auch ausserhalb des Elternhauses. Sexualität ist ein Teil unseres Lebens und soll darum nicht aus der Schule ausgeklammert werden.
Aufklärung ist den Eltern oft peinlich – gerade weil sie den Intimbereich der Kinder respektieren. Was tun?
Themen anzusprechen, ist nie falsch. Aber es gehört auch zur Vorbildfunktion, nicht ungefragt Intimitäten auszubreiten. Wichtig ist, auf Signale zu achten und die Jugendlichen nicht zu zwingen, über das Thema zu sprechen, wenn sie nicht wollen. Deshalb muss man im Lehrbetrieb auch Formen finden, mit denen die Jugendlichen nicht gedrängt werden, etwas zum Thema zu sagen – aber die Möglichkeit erhalten, Fragen zu stellen und sich zu beteiligen.
Was, wenn ein Spätentwickler-Kind im Unterricht etwas über Geschlechtsteile erfährt? Kann das zu einer Traumatisierung führen?
Nein. Erwachsene denken das, weil sie mit Sexualität verbinden, was sie selber erlebt, gehört, gesehen haben. Wenn ein Kind eine kindgerechte Lektion darüber erhält, was Geschlechtsverkehr ist, dann schadet ihm das nicht, auch wenn es sich noch nicht dafür interessiert. Vielleicht ist es dann weniger aufmerksam. Die meisten Kinder im Kindergartenalter interessieren sich aber dafür.
Wie steht es mit Handypornos? Wenn ein Primarschüler so etwas auf dem Pausenplatz zu sehen bekommt: auch kein Problem?
Das kann dann schon verstörend sein, weil ein jüngeres Kind das nicht gut einordnen kann. Genau deshalb sollte man aufklären, damit Jugendliche zum Beispiel wissen, dass man jüngere Kinder nicht mit so etwas überfordern darf.
Und wenn es nun trotzdem passiert?
Wenn ein Kind gelernt hat, darüber zu sprechen, geht es eher zu den Eltern mit einem solchen Erlebnis. Hat es keine Worte dafür und weiss nur, dass man über so etwas nicht redet, dann wird es schwieriger, das Erlebte zu verarbeiten.
Wie schlimm sind solche Erlebnisse?
Wie bei Übergriffen und Grenzüberschreitungen überhaupt wird das sehr individuell verarbeitet. Kinder haben ganz unterschiedliche Schutzpanzer gegen Sachen, die im Leben nicht richtig laufen. Manche rufen aus und sagen: «Wäh, wie gruusig», und damit hat es sich. Das ist wie mit Gewaltdarstellungen in Filmen. Manche Kinder sind sehr ängstlich, verstecken sich unter dem Tisch. Andere schauen zu, und es scheint an ihnen abzuperlen.
Welche Faktoren beeinflussen die psychische Widerstandskraft?
Das hat sehr viel zu tun mit Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit und Beziehungen.
Was heisst Selbstwirksamkeit?
Bin ich ein Mensch, der gelernt hat, dass er nie etwas bewirken kann und sich daher als hilfloses Opfer sieht, habe ich eine geringe Selbstwirksamkeit. Solche Menschen haben ein höheres Risiko, depressiv zu werden. Andere Menschen, denen etwas Schlimmes passiert, sagen sich: Was mache ich jetzt? Mit wem kann ich reden? Sie werden aktiv, weil sie das Gefühl haben, etwas tun zu können. Je mehr vertrauensvolle Beziehungen man hat, desto eher holt man sich Hilfe. Je selbstwirksamer man sich fühlt, desto mehr kann man etwas machen. Je mehr Selbstwertgefühl man hat, desto weniger macht man sich dann auch selber schlecht. Die negativste Form der Verarbeitung nach einem Übergriff ist zu denken, man sei selber schuld.
Wenn man nun mit Kindern über Missbrauch spricht, besteht da das Risiko, Ängste erst zu wecken, die sonst gar nicht da wären?
Ab dem Kindergartenalter gehört die Information dazu, dass es Situationen gibt, in denen jemand etwas mit einem Kind macht, das ihm nicht gefällt oder ihm Angst macht. Und dass es dann Nein sagen darf und sich an die Eltern oder die Lehrerin wenden kann. Entscheidend ist, dass man sachlich informiert und nicht dramatisiert.
Können Sie ein Beispiel geben?
Nehmen wir das Autofahren. Wenn das Kind fragt, warum man Sicherheitsgurten trägt, kann man sagen: Das verhindert bei einem Unfall, dass man nach vorne durch die Scheibe fliegt. Das ist sachlich. Niemand würde auf die Idee kommen zu sagen: Autofahren ist sehr gefährlich. Es könnte einen Unfall geben, und dann wäre ich tot, und du wärst ganz alleine auf der Welt. Eine solche Erzählung würde Angst erzeugen, und nicht die Eventualität, dass etwas passiert. (Tages-Anzeiger)
Erstellt: 28.02.2014, 17:24 Uhr
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