Wenn sich Christian Wulff heute mit einem Großen Zapfenstreich verabschieden lässt, werden viele nur den Kopf schütteln. Wie kann er nur so unsensibel handeln? Ein Gespräch mit dem Sozialpsychologen Prof. Dr. Fritz Strack von der Uni Würzburg über die Wahrnehmung des Ex-Bundespräsidenten in der Bevölkerung.
Frage: Herr Professor Strack, wenn Sie eine Forschungsarbeit zum Fall Wulff verfassen würden – was wäre das Thema?
Fritz Strack: Ich würde mich vielleicht damit beschäftigen, wie man durch sein Verhalten die eigene Glaubwürdigkeit so dermaßen reduzieren kann. Denn er ist nicht als authentische Person rübergekommen. Er hat seiner Reue keine Taten folgen lassen – wie man jetzt auch bei seiner Forderung nach Ehrensold, Büro samt Mitarbeitern und dem Zapfenstreich sieht.
Hätte er denn mit genügend Reue das Ruder noch herumreißen können?
Strack: Ich glaube, dass die Bürger am Anfang bereit gewesen wären, ihm zu verzeihen – hätte er glaubwürdig gesagt, dass er Mist gebaut hat. Sein größter Fehler war, dass er immer nur häppchenweise Dinge rausgerückt hat. Da konnte ihm keiner mehr glauben.
Wulff ist aber doch Politprofi. Er wusste sich jahrelang geschickt zu inszenieren. Wie konnte er da so das Gefühl für seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit verlieren?
Strack: Ich vermute, dass er lange dachte, dass die Würde des Amtes das alles überdeckt.
Ist sein Ansehen jetzt für immer geschädigt?
Strack: Mit einem Verzicht auf den Ehrensold hätte er es noch retten können, indem er zeigt, dass er es wirklich ernst meint. Doch dann meint er 'Nö, das steht mir zu, das ist rechtens'. Und jetzt lässt er sich beim Zapfenstreich noch eine Extrawurst braten und will vier anstatt der üblichen drei Musikstücke gespielt bekommen. Das ist so unverständlich, so unglaubwürdig, schlimmer geht's wirklich nicht mehr.
Wenn Sie Herrn Wulff für den heutigen Zapfenstreich einen freundschaftlichen Rat geben müssten, wie er sich dort darstellen sollte...
Strack: Wenn der Zapfenstreich beginnt, ist das Kind in den Brunnen gefallen. Ich hätte ihm gewünscht, dass jemand, der es gut mit ihm meint, ihm zur Absage rät. Das ist mittlerweile so eine peinliche Veranstaltung, das hat so an Würde verloren. Mit einem Verzicht hätte er ein einziges Mal aus eigener Initiative die Konsequenzen gezogen.
Hat er, wie ihm von vielen Seiten vorgeworfen wird, das Ansehen des Amtes des Bundespräsidenten dauerhaft beschädigt?
Strack: Ich glaube nicht, dass er das Amt beschädigt hat. Das denkt man jetzt nur, weil das Amt mit der Person Wulff so stark verknüpft ist. Mit einem neuen Präsidenten wird das vergessen werden und das Amt hat langfristig keinen Schaden genommen. Das klebt an Wulff, nicht am Amt. Wenn der Nachfolger das Amt mit seiner Persönlichkeit neu auszufüllen weiß, wird das Amt wieder anders gesehen und Wulff vergessen sein.
So richtig blickt man ja jetzt kaum noch durch, was ihm alles vorgeworfen wird. In der Erinnerung an seinen Fall werden die Details noch mehr verschwimmen. Was wird bleiben?
Strack: Wir wissen aus der sozialpsychologischen Forschung, dass die Details in der Einschätzung von Personen über die Zeit hinweg verloren gehen. Was bleibt, ist die Bewertung. Das ist wie wenn Sie vor einem Jahr im Kino waren: Die genaue Handlung kennen Sie nicht mehr, aber Sie wissen noch, ob ihnen der Film gefallen hat. Unser Gedächtnis funktioniert so, dass Bewertungen uns erlauben, Details zu vergessen. Der Name Wulff wird noch lange mit einem negativen Gefühl verbunden werden.
Ist die Aufregung über den Fall Wulff vielleicht so stark, weil der Fall den Menschen einen Einblick in die Gepflogenheiten in der politischen Klasse gibt?
Strack: Die Bürger können schon unterscheiden zwischen Wulff und Merkel oder Guttenberg und de Maiziere. Ich denke, dass die Skandale sehr stark mit der Person Wulff verbunden werden. Die Geschichte hat eine ganz eigene Qualität. Es ist die Persönlichkeit, die nicht zum Amt des Bundespräsidenten passt. Als Ministerpräsident wäre das vielleicht noch gegangen.
Aber die Medien standen zwischendrin als Königsmörder da, vielfach war die Rede von einer perfiden Kampagne.
Strack: Es gibt zwei Wege, das eigene Bild in der Öffentlichkeit zu beeinflussen: Zum einen das Foto, das einen intuitiven Eindruck vermittelt. Menschen denken 'Bei dem habe ich irgendwie ein gutes Gefühl, da kann ich mir nichts Schlechtes vorstellen'. Und dann gibt es die Information, das Wissen. Der bildhafte Eindruck durch Fotos ist dabei erst einmal unmittelbarer und oft auch stärker als harte Fakten. Das intuitive Urteil zu korrigieren, das braucht Zeit. Besonders bei jemand, der wie Wulff so stark im Bild präsent war – das waren wirkungsvolle Inszenierungen, auch wegen seiner attraktiven Frau. Die Menschen trauten ihm das alles nicht zu. Und dachten dann, es sei alles nur Sensationsmache. Erst als die Staatsanwaltschaft anfing zu ermitteln, war die Information stärker als die Emotion.
Heißt das, mit einem unvorteilhaften Foto hätte Wulff schon früher breite Ablehnung erfahren?
Strack: Mit einem Bild, auf dem er unsympathisch oder irgendwie anders negativ rübergekommen wäre, wäre es möglicherweise schneller gegangen. Es gab mal einen Präsidentschaftskandidaten in den USA, Michael Dukakis, der sich in einem Panzer ablichten ließ und auf dem Foto total lächerlich rüberkam – die Wahlforscher haben gesagt, das hat ihn die Wahl gekostet. Es muss nicht mal einen inhaltlichen Bezug haben, sondern nur die Anmutung verändern.
Waren Sie – als Psychologe – überrascht, dass Wulff so lange im Amt geblieben ist?
Strack: Er machte keinen ausgebufften Eindruck. Wenn ich hätte wetten müssen, hätte ich schon relativ früh gewettet, dass er zurücktritt.
Prof. Dr. Fritz Strack
Der Sozialpsychologe, 1950 in Landau geboren, leitet seit 1995 den Lehrstuhl für Psychologie der Universität Würzburg. Seine Forschungsinteressen gelten den Themen Emotion, soziale Urteilsbildung und Verhalten. Nach seinem Psychologiestudium in Mannheim und Stanford legte er in Mannheim erst die Promotion und dann die Habilitation ab. Bevor er schließlich nach Würzburg umzog, arbeitete er am Max-Planck-Institut für Psychologische Forschung in München und war Professor an der Universität Trier. 2004 erhielt er die Wilhelm-Wundt-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Strack lebt in Würzburg. FOTO: Privat