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Der Visionär am Operationstisch

Christian Klaiber hat als Erster in der Schweiz eine Gallenblase minimal-invasiv entfernt. Er war seiner Zeit immer ein bisschen voraus.

Von Pioniergeist umweht: Christian Klaiber mit seinem Team bei einem frühen laparoskopischen Eingriff am Spital Aarberg.

Von Pioniergeist umweht: Christian Klaiber mit seinem Team bei einem frühen laparoskopischen Eingriff am Spital Aarberg.
Bild: Privatarchiv

Christian Klaiber war bis 2005 Chefarzt der Chirurgie in Aarberg BE. 1989 operierte er die erste Gallenblase der Schweiz minimalinvasiv.

Geschichte der Schlüssellochchirurgie

Von der diagnostischen Methode zur etablierten Operation

Den Traum von der Schlüssellochchirurgie, auch minimal invasive Chirurgie oder Laparoskopie genannt, hegen die Ärzte schon lange. Ab den 50er-Jahren etablierte sich die laparoskopische Endoskopie in der Gynäkologie und in der Inneren Medizin. Bis sich aus dieser diagnostischen Methode die operative Schlüssellochchirurgie entwickelte, dauerte es noch einige Zeit.

Die erste minimal invasive Gallenblasenentfernung beim Menschen wurde 1985 in Deutschland durchgeführt. Zuerst wurde die Methode als «MickeyMouse-Operation» verspottet. Doch dank Pionieren wie Christian Klaiber etablierte sich die Laparoskopie vor allem bei Operationen im Bauchraum, um grosszügige Bauchhöhlenöffnungen zu vermeiden. Im Bereich der Blinddarm- und Gallenblasenentfernungen ist sie heute Standard.

Eine Gallenblasenentfernung ist in der Regel nötig bei Gallensteinen, die dem Patienten Schmerzen verursachen oder eine Entzündung der Gallenblase oder der Bauchspeicheldrüse nach sich ziehen. Heute werden Schlüssellocheingriffe in vielen Bereichen durchgeführt, und es ist kein Ende absehbar. Die Weiterentwicklung ist geprägt von der Kombination mit der Roboterchirurgie. (mma)

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Im kleinen Spital Aarberg, im Berner Seeland, operierte Ende der 80er-Jahre einer, von dem viele dachten, er spinne. Über Chefarzt Christian Klaiber sollten sie das auch später immer wieder sagen. Sie irrten.

Christian Klaiber, bis 2005 Chefarzt am Regionalspital Aarberg, hat die Chirurgie in der Schweiz entscheidend vorangebracht. Er setzte dem lange Zeit gültigen Dogma «grosser Schnitt – grosser Chirurg» ein Ende: «Das gehört der Vergangenheit an», schrieb er 1992 in einem ganzseitigen Aufsatz in der NZZ. Am 1. November 1989 stand Christian Klaiber am Operationstisch, hantierte mit langen Instrumenten, die er mithilfe von Kamera und Bildschirm sorgfältig in den Bauch führte. Der Bauch wurde mit mehreren Liter Kohlendioxid aufgebläht, damit Klaiber etwas Raum zum Arbeiten hatte.

Christian Klaiber führte an jenem Mittwochmorgen die erste laparoskopische Cholecystektomie der Schweiz durch, eine minimal-invasive Entfernung einer Gallenblase. Es war eine Premiere, von der ausserhalb der Klinik wochenlang niemand erfahren sollte. Assistiert wurde der Aarberger Chefarzt von Edgar Frei, Chefarzt am Zieglerspital Bern, und Hans Leepin, Oberarzt in Aarberg. Gegen drei Stunden arbeiteten die drei erfahrenen Chirurgen, dann lagen Gallenblase und Gallensteine in einer kleinen Schale neben dem Operationstisch. Heute dauert der Eingriff im Schnitt zwischen 30 und 60 Minuten.

Mit der typischen Voraussicht

Einer, der im OP jeden Schritt aufmerksam verfolgt hat, war Kaspar Z’graggen, damals Assistenzarzt im ersten Jahr, heute Professor für Viszeralchirurgie und ein Freund Christian Klaibers. Die Zeit damals, sagt Z’graggen, sei verrückt gewesen. In der Chirurgie allgemein und am Spital Aarberg im Besonderen. Ausser Klaiber habe damals kaum jemand vorausgesehen, was die neue Technik anstossen werde. Das sei «typisch Klaiber»: Er sei in seinen Gedanken immer mindestens einen Schritt weiter gewesen.

Kaspar Z’graggen assistierte seinem Chef bei den Operationen Nummer zwei bis sechzig. Nach zwanzig gelungenen Eingriffen publizierten sie im Juni 1990 in der «Schweizerischen Medizinischen Rundschau» einen Artikel und machten ihre Premiere öffentlich: «Laparoskopische Cholecystektomie. Persönliche Erfahrungen in 20 Fällen.» Nun nahm die Sache Fahrt auf. Klaiber sah sich auf der einen Seite der Kritik ausgesetzt, vor allem an den Unispitälern hielt man die neue Technik teils für Hokuspokus. Sicher schenkte man ihr kaum Beachtung. Auf der anderen Seite wollten nun zahlreiche Chirurgen von Klaiber lernen.

Beides sah Christian Klaiber voraus. Er hatte bereits ein Jahr zuvor die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Laparo- und Thorakoskopische Chirurgie (SALTC) gegründet, um der Kritik eine Organisation entgegenzuhalten. Zudem erstellte er ein Kursprogramm. In den Räumen der Pflegerinnenschule wurden Kurse für Chirurgen abgehalten: Alles, was Rang und Namen hatte, liess sich im kleinen Regionalspital die neue Technik zeigen, an toten Schweinen übten Chirurgen aus der ganzen Schweiz die Entfernung von Blinddarm und Gallenblase. Seinen Assistenzarzt Z’graggen lieh der Chef tageweise an andere Spitäler aus. Dort assistierte er den Chefärzten bei ihren ersten laparoskopischen Gallenblasenentfernungen, zeigte ihnen den Umgang mit den ungewohnten Instrumenten.

Am offenen Bauch geübt

Als Kaspar Z’graggen im Dezember 1988 seine erste Stelle nach dem Studium in Aarberg antrat, sprach der Chef nur von minimal-invasiven Techniken, hinter seinem Rücken schüttelten alle den Kopf. Z’graggen inklusive. Keiner konnte sich diese Technik wirklich vorstellen. Klaiber war in Paris und Toulouse, begeistert davon, was die französischen Kollegen alles laparoskopisch operierten. In Deutschland wurde die erste Gallenblase 1985 laparoskopisch entfernt, in Frankreich 1987.

Sie begannen sich die Technik selber zu erarbeiten. Bei offenen OPs wurden die neuen, ungewohnten Instrumente erprobt. Z’graggen musste dem Chef oft assistieren, wenn der am offenen Bauch mit umständlichen Instrumenten hantierte, um ein Gefühl für die Tiefe und die Strukturen zu erhalten und das Operieren am Bildschirm vorzubereiten. Am Osterwochenende 1989 entfernten die beiden erstmals zwei akut entzündete Blinddärme mit der neuen Technik. Rund vier Stunden haben die Operationen gedauert – heute ist ein unkomplizierter Blinddarm in 15 bis 30 Minuten draussen.

Instrumente der laparoskopischen Chirurgie

Was Klaiber mit der laparoskopischen Entfernung einer Gallenblase gelungen ist, wiederholte er später im damals neuen Spezialgebiet der Übergewichtschirurgie (Magenband und -verkleinerung). Mitte der 90er-Jahre war Klaiber Initiator und Mitbegründer der Swiss Study Group for Morbid Obesity (SMOB). An einer Fortbildung am Universitätsspital Zürich regte er eine Plattform für die Übergewichtschirurgie in der Schweiz an. Das mag einigen damals unnötig vorgekommen sein, die Übergewichtschirurgie stand in der Schweiz am Anfang. Klaiber war in seinen Überlegungen einen Schritt weiter: Die SMOB verhandelt heute mit dem Bundesamt für Gesundheit über die Richtlinien für die chirurgische Indikation und Behandlung von Übergewicht.

Nebenher entwickelte Klaiber zusammen mit Medizintechnikfirmen die benötigten neuen Instrumente der laparoskopischen Chirurgie nach seinen Wünschen. Er hielt ein Patent auf das erste schlüssellochtaugliche Klammernahtgerät, das gleichzeitig schneidet und die Wunde verschliesst – er verkaufte es später an Tyco (heute Covidien).

Frei von Allüren und Eitelkeiten

Kaspar Z’graggen beschreibt Christian Klaiber als neugierigen, freundlichen, stets korrekten und sachlichen Fachmann. Sein Wort habe in der Klinik immer gegolten. Aus Z’graggens Worten ergibt sich das Bild eines engagierten Arztes, frei von Allüren und Eitelkeiten. Er muss zudem ein leidenschaftlicher Chirurgen gewesen sein: Das verrät sein Artikel, den er im Dezember 1992 für die «Neue Zürcher Zeitung» verfasste. Sehr ausführlich geht er auf die technischen Anforderungen ein, beschreibt den Ablauf der Operation Schritt für Schritt in einer einfachen, verständlichen Sprache. So verständlich, dass er sogar von «Schlüssellochchirurgie» sprach. «Die laparoskopische Chirurgie», schreibt er, «ist technisch anspruchsvoll und stellt hohe Anforderungen an den Chirurgen.» Um zu schliessen: «Wir stehen am Anfang einer neuen chirurgischen Ära.»

Am kleinen Spital im Aarberg operierte einer, von dem sie sagten, der spinne. Dabei lotete er beinahe unbegrenzte Möglichkeiten aus.

Am vergangenen Freitag ist Christian Klaiber 71-jährig gestorben. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 13.10.2013, 09:59 Uhr


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