Johanna ist Studentin der Psychologie. In Wien hat sie eine winzige "Dreiineinemzimmerwohnung"; das Haus in der Nähe von Zwentendorf, in dem sie aufgewachsen ist, muss verkauft werden, da ihr Vater an Demenz leidet und in ein Heim kommt. Die Mutter, erheblich jünger als er, hat sich nach Peru abgesetzt, um an einem sozialen Projekt mitzuwirken. Auch alle anderen, die Johanna durch die Kindheit begleitet haben, verabsentieren sich: Bruder Stefan geht nach Kanada, ihr Hund Baghira ist gestorben und Ernst, ihr bester Freund aus frühen Kindheitstagen, sucht in China seine Mutter und sich selbst.
Auch in Wien ist Johannas Gesellschaft spärlich: Sie beschränkt sich auf ihre Nachbarin Julia, eine alleinerziehende Mutter, die Gesang und Schauspiel studiert, und den betagten, weisen Herrn Glantz mit seinem Hündchen Gloria. Schließlich droht ihr auch noch Julia abhanden zu kommen, die sich die Miete nicht mehr leisten kann, doch da das Haus am Land bis zum Verkauf bewohnt bleiben soll, quartiert Johanna sie und ihre Tochter kurzerhand dort ein.
Cornelia Travnicek
Junge Hunde
Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015, 237 Seiten, 15,50 Euro.
Aufräumarbeiten
Bei den Aufräumarbeiten für den bevorstehenden Hausverkauf entdeckt Johanna anhand einer Notiz ihrer Mutter, dass ihr angeblicher Vater unmöglich ihr leiblicher sein kann, und stellt Nachforschungen an.
Dass der Leser angesichts des spärlichen handlungsrelevanten Personals sofort weiß, wer Johannas richtiger Vater sein muss, ist das Einzige, was man - mit viel Beckmesserei - dem Buch ankreiden könnte. Doch Spannung im Sinne eines Thrillers ist nicht das, was dieser Roman, den Cornelia Travnicek auszugsweise bereits beim Bachmann-Preis 2012 vorgestellt und damit den Publikumspreis gewonnen hat, vermitteln will. Vielmehr zeigt er Figuren, deren biografische Fundamente - die Identität der Eltern, das soziale Milieu, die vertraute Umgebung - bröckeln und die nun mit sich selbst ins Reine kommen müssen. Nicht nur Johannas Haus, sondern auch ihre Persönlichkeit (wie auch die Ernsts) bedarf mühevoller Aufräumarbeiten.
Die aufs Erste etwas rätselhaft anmutenden Prologe der Kapitel, die durchwegs mit Bienen zu tun haben, taugen diesbezüglich recht gut als symbolischer Fingerzeig - schließlich gelten Bienen ja als fleißige Arbeiter -; andererseits verstecken sich hier auch Hinweise auf die Fabel.
Diese erzählt die studierte Sinologin und Informatikerin Travnicek abwechselnd aus der Perspektive Johannas und der ihres Freundes Ernst, der von Johannas Nachbarn im Säuglingsalter adoptiert worden ist und nun als völlig Fremder seine Heimat bereist - besser gesagt durch sie taumelt: Weder kann er, dem die Stiefmutter ein "Chintsch, vielleicht Deunesisch, ein Irgendetwas" beigebracht hat, die Sprache, noch findet er sich in dem Land, das es "darauf anlegt, dass mir konstant unwohl ist", zurecht.
Instinkt und Kunst
Wie es die Autorin schafft, in den Handlungsverlauf Rückblenden und Erinnerungen einzuflechten, im Wortsinn zu vergegenwärtigen, ohne damit zu verwirren oder anzustrengen, zeugt von sicherem dramaturgischem Instinkt und hoher Kompositionskunst.
Vor allem aber ist Travnicek eine Virtuosin der Sprache: Stimmungsbilder, Metaphern, insbesondere das Spiel mit Gegensätzlichkeiten und Wort(teil)verdrehungen beherrscht sie meisterhaft: "Ihr Vater hat viel, das wenig ist." "Halbschwesterherz. Halbherzige Schwester." "Muttersuchversuch". Die Verspätung eines Regionalzugs aus Wien beschreibt sie so: "Manchmal klemmt der Reißverschluss zwischen Stadt und Land." Die angeschlagene Stelle eines Apfels "riecht intensiv nach Erde, als hätte der Druck des Aufpralls dort den Duft des Gartenbodens in die Frucht gepresst." So geht poetisch.