Boxenfunk-Psychologie – eine ganz spezielle Beziehung

Der Boxenfunk in der Formel 1 ist eine wahre Gratwanderung. Während der Fahrer mit 18.000 Umdrehungen auf den nächsten Bremspunkt zurast, ist es die Aufgabe seines Renningenieurs, ihm diverse Informationen durchzugeben, ohne ihn bei seinem Rennen zu stören. Das Geduldsspektrum der Piloten ist dabei ziemlich breit, sodass eine Menge Fingerspitzengefühl und ein gewisses psychologisches Verständnis gefragt sind.

Immer wieder kam es zwischen den Piloten und ihren Ingenieuren in den vergangenen Jahren zu kuriosen Dialogen via Funk. Für ein Highlight sorgte Kimi Räikkönen in der vergangenen Saison bei seinem Sieg in Abu Dhabi. Nachdem ihn sein Renningenieur Simon Rennie darauf hingewiesen hatte, alle vier Reifen auf Temperatur zu halten, platzte dem Finnen der Kragen: "Ja, ja, ja, das tue ich die ganze Zeit. Ihr braucht mich nicht andauernd daran zu erinnern." Sein nachfolgendes "Leave me alone" ist bereits Kult unter den Fans des Iceman.

Alan Permane, Leitender Ingenieur an der Strecke bei Lotus, erinnert sich an die Szene: "Es wurde eine Menge gemacht aus seinen Kommentaren in Abu Dhabi. Manche Informationen waren aber sehr wertvoll: Seine Reifentemperaturen waren zu niedrig und das kann er hinter dem Safety-Car nicht sehen oder beurteilen", so der Brite gegenüber 'Autosport'. Zu Räikkönens Aufforderung, ihn doch in Ruhe zu lassen, kann Permane nicht viel sagen: "Er wollte das einfach nicht wissen... okay."

Große Varianz in der Geduld

Räikkönen selbst betont die individuellen Vorlieben der Fahrer beim Funk und beschränkt sich lieber auf das Wichtigste: "Jeder Pilot und Ingenieur arbeitet anders, manche tun es besser als andere. Wir haben ein gutes System bei Lotus: Wir wissen, wann es sinnvoll ist zu sprechen. Wenn aber alles gut funktioniert, gibt es nicht viel zu besprechen." Wenn er etwas brauche, könne sich der Finne einfach melden, ansonsten sehe er aber, was vor oder hinter ihm passiert. "Reden kannst du nach dem Rennen", lautet die klare Devise des Lotus-Piloten.

Der jetzige Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin war 2009 Renningenieur von Jenson Button, der in dem Jahr mit Brawn Weltmeister wurde. Er weiß, worauf es beim Funken ankommt: "Es hängt sehr viel vom Fahrer ab. Das Problem der modernen Formel 1 ist, dass du die Fahrer nicht in völliger Stille und ohne Unterbrechung fahren lassen kannst, weil es wichtige Dinge gibt, die sie wissen müssen." Darunter fallen laut Shovlin etwa Änderungen an der Balance, dem Benzinstand oder mit den unterschiedlichen Spritgemischen.

"Den Fahrern ist es relativ egal, wenn du sie auf den Geraden ansprichst, ich habe keinen kennengelernt, der damit ein Problem hatte", kramt Shovlin in seiner Erinnerung. "Wenn du in der Kurve mit ihnen sprichst, sollte es aber nicht in der Bremszone sein, wenn sie versuchen, auf ein oder zwei Meter exakt anzubremsen." So gelte es immer, das perfekte Timing zu finden und abschätzen zu können, was der Fahrer will. Dazu brauche man Zeit: "Über das Jahr hinweg baust du eine nette Beziehung zu einem Fahrer auf", weiß Shovlin aus eigener Erfahrung.

Top-Fahrer lassen sich nicht ablenken

Während Räikkönen den einen Extrempol darstellt, gibt es auch solche Fahrer - etwa den Weltmeister von 1997 - die ständig mit Informationen gefüttert werden wollen: "Villeneuve wollte in jeder einzelnen Runde sprechen, selbst wenn es nur Geplauder war. Er wollte die Positionen der anderen wissen, was mit dem Auto los war, einfach alles", erinnert sich Permane. Die meisten Fahrer wollen ihm nach aber nur auf dem Laufenden gehalten werden, ohne dabei gestört zu werden. Ein weiterer aktueller Fahrer, der nach Informationen lechzt, sei laut Shovlin Nico Rosberg: "Nico hat eine sehr technische Denkweise und tendiert dazu, stets sehr stark involviert sein zu wollen."

Es gebe auch Fahrer in der Formel 1, die sich von Funksprüchen nicht ablenken lassen, erklärt Permane: "Die wirklich schnellen Kerle verlieren keine Zeit, wenn sie angefunkt werden oder selbst sprechen." Davon gebe es aber nicht viele: "Fernando Alonso, Michael Schumacher, Räikkönen - und ich glaube, auch Lewis Hamilton und Sebastian Vettel verlieren gar keine Zeit." Eine wichtige Rolle spiele die Fähigkeit zum Multitasking: "Manche brauchen für ihre Runde 100 Prozent ihrer geistigen Kapazitäten. Leute wie Alonso schaffen gute Rundenzeiten und haben noch einige Kapazitäten frei, um etwas anderes zu tun", so Permane.

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