Die Arbeit in einem Behindertenwohnheim war ihr Traumjob. Doch vor zwei Jahren ging bei Beate Schneider (Name geändert) auf einmal nichts mehr. Die Diagnose war schnell gestellt: Die Sozialarbeiterin wurde von ihrem Arzt mit Burn-out in die Klinik geschickt. "Aber die Diagnose war falsch", sagt die fünffache Mutter. "Ich hatte Depressionen und massive Eheprobleme."
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Die Diagnose "Burn-out" mag manchem attraktiver erscheinen als "Depression". Dabei handelt es sich dabei nur um eine Selbsttäuschung
Ihr Fall sei keine Ausnahme, sondern eher die Regel, sagt der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Ulrich Hegerl. "Ein Großteil der Menschen, die wegen Burn-out eine Auszeit nehmen, leidet de facto schlicht an einer depressiven Erkrankung", urteilt der Leipziger Psychiater. Mit seiner vehementen Kritik am "Modebegriff Burn-out" hat Hegerl eine öffentliche Debatte angestoßen. Seit Monaten ringen Psychiater, Psychotherapeuten und Psychologen in den Medien um eine klare Definition der Burn-out-Diagnose. Denn die gibt es bislang nicht.
Das aber soll sich jetzt ändern. Am 7. März will die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin ein Positionspapier vorstellen, das Klarheit in die Begrifflichkeiten bringen und Ärzten künftig dabei helfen soll, genauere Diagnosen zu stellen.
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Hungern, fressen, hungern, fressen, auch Prominente leiden darunter: Die Strapazen für die "Bridget-Jones"-Filme waren für Hollywood-Star Renée Zellweger einfach zuviel. Wegen eines Burnout-Syndroms musste auch sie eine Auszeit nehmen.
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Superstar Mariah Carey produzierte einen Hit nach dem anderen, bis sie sich im August 2001 in eine Klinik einweisen ließ - Grund: Bodenlose Erschöpfung.
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Sportstar Sven Hannawald hat seine Skisprungkarriere beendet und dies öffentlich mit einem Burnout-Syndrom begründet. Mittlerweile wurde seine Erkrankung erfolgreich behandelt.
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Total ausgebrannt: Nach der EM 2004 hatte Ottmar Hitzfeld die Nachfolge Rudi Völlers mit dem Hinweis abgelehnt, dass er nicht in der psychischen Verfassung sei, den Job durchzuhalten.
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US-Rapper Eminem alias Marshall Mathers hatte immer viel Spaß dabei, seinen Beruf auszuüben, bis er 2005 seine Europa-Tournee, bei der unter anderem Termine in Hamburg und Gelsenkirchen vorgesehen waren, absagte. Der Hip-Hop-Provokateur werde "wegen Erschöpfung" behandelt, hieß es damals.
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Nach einem Klinikaufenthalt im Herbst 2003 hieß es über Profifußballer Sebastian Deisler in der Presse, er sei depressiv und ausgebrannt.
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Burnout-Syndrom kommt oft schleichend: Dass musste auch Sänger Ricky Martin erfahren. Als er vor einiger Zeit aus der Öffentlichkeit verschwand, hieß es, er sei ausgebrannt.
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"Ham'se noch Hack?" Auch Kochen kann der reinste Stress sein: Der TV-Koch Tim Mälzer verhinderte Burnout durch einen Profi-Coach.
"In den Medien ist viel durcheinandergeraten", sagt der Freiburger Psychiater Mathias Berger. Er ist einer der sieben Experten in der Arbeitsgruppe, die das Papier derzeit entwickelt. "Man gewinnt den Eindruck, dass Burn-out als eine Krankheit der Starken und Depressionen als Krankheit der Schwachen gilt." Das aber sei fatal.
Viele Prominente wie Rosenstolz-Sänger Peter Plate oder die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel, die sich zu ihrem "Ausgebranntsein" bekannten, zeigen für Berger aufgrund ihrer eigenen Schilderung in den Medien Anzeichen einer eigentlichen Depression. "Aber in unserer Leistungsgesellschaft klingt die Diagnose Burn-out besser, denn wer ausgebrannt ist, kann sich darauf berufen, vorher bis zum Umfallen gearbeitet zu haben", kritisiert der 64-jährige Ärztliche Direktor für Psychiatrie an der Freiburger Uniklinik.
Allerdings ist Berger vorsichtig, Burn-out wie sein Kollege Hegerl nur als eine "Ausweichdiagnose für Depressionen" zu verstehen. "Es ist ein überlastungsbedingter Risikozustand", sagt er. Im Positionspapier soll daher auch betont werden, dass die burnout-typische Erschöpfung in erster Linie mit der Überlastung am Arbeitsplatz oder innerhalb der Familie zu tun hat.
Phase 1: Der Erfolg befeuert den Leistungswillen...
Ganz am Anfang steht der Erfolg: Die Karriere kommt voran, Partner und Vorgesetzte reagieren positiv. Die eigene Leistungsbereitschaft zahlt sich aus. Es stellt sich das Gefühl ein „Ich habe es geschafft!". Für Regeneration oder Entschleunigung ist keine Zeit und scheinbar kein Bedarf.
Phase 2: Der Stress macht sich erstmals bemerkbar...
Die Energiereserven werden verbraucht, der „Akku" nicht wieder aufgeladen. Schleichend beginnt die Tiefen-Erschöpfung. Der Stress macht sich in Rückenschmerzen, Schlafproblemen oder Muskelverspannungen bemerkbar. Der Spaß an der Arbeit lässt nach, das eigene Perfektionsstreben nicht. Die Erwartungen an sich selbst werden dadurch immer weniger realistisch.
Phase 3: Härte gegen sich selbst soll die alte Leistung wiederbringen...
Versuche scheitern, dem Stress mit mehr Sport oder gesünderem Essen beizukommen. Der innere Druck steigt. Noch mehr Härte gegen sich selbst soll dann helfen, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Ratschläge von Freunden und Kollegen, doch kürzerzutreten, werden als Kritik empfunden und abgelehnt. Die Devise lautet „Augen zu und durch!".
Phase 4: Das Tempo nimmt nochmals zu...
Ohne entsprechende Korrektur der Entwicklung nimmt das Tempo im Hamsterrad noch einmal zu. Der Betroffene arbeitet noch länger, übernimmt noch mehr Projekte, nimmt Arbeit mit nach Hause. Er mobilisiert die letzten Energiereserven, doch seine Konzentration lässt bereits nach. Er macht immer häufiger Fehler, die ihm früher nicht passiert wären. Seine Versagensängste nehmen zu, sein Selbstwertgefühl sinkt. Erschöpfungssymptome wie Herzrasen, Schlafprobleme oder Tinnitus können die Folge sein.
Phase 5: Psyche und Körper machen nicht mehr mit...
Der Endpunkt ist das Burnout-Syndrom. Die Leistungsfähigkeit bricht zusammen. Die Arbeitsfähigkeit kann für Monate eingeschränkt sein. Oft ist eine Behandlung im Krankenhaus unverzichtbar. Psychopharmaka können die Symptome meistens schnell behandeln. Aber die Muster, die zum Zusammenbruch geführt haben, sind damit noch nicht überwunden. Die Patienten fühlen sich häufig „wie gelähmt". Depressionen und Suizidgefährdung sind nicht auszuschließen.
Dieser Zustand sei aber noch keine Erkrankung, die intensiver behandelt werden müsse. "Hier kann es schon helfen, wenn der Arbeitsdruck reduziert wird oder die Betroffenen lernen, sich besser zu entspannen und ihre Freizeit erholsamer zu gestalten."
Doch aus dem "Risikozustand Burn-out" kann sich laut Berger schnell das "Vollbild einer Depression" oder anderer psychischer Störungen wie Panikattacken, Angststörungen oder Süchte entwickeln, wenn jemand dazu eine Veranlagung hat. "Arbeitsüberlastung, das heißt Burn-out, ist als auslösender oder aufrechterhaltender Faktor für die Erkrankung zu sehen", erklärt Berger.
Zahlreiche Kollegen wie der Hamburger Psychologe Matthias Burisch sehen das anders. Sie definierten Burn-out nicht als einen "Zustand", sondern einen "krisenhaften Prozess", der in verschiedenen Phasen verläuft und an dessen Ende Depression, Verzweiflung und Suizidabsichten stehen. 130 Symptome ordnet Burisch dem Burn-out-Syndrom zu.
Charité-Experte über Burn-out
Berger und seine Arbeitsgruppe dagegen wollen in dem Positionspapier eine klare Unterscheidung treffen zwischen psychischen Erkrankungen, die eine intensive medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung erfordern, und einer zeitweiligen Erschöpfung, die aus der Überforderung am Arbeitsplatz resultiert. Denn beim Burn-out, sagt Berger, seien nicht nur Ärzte und Psychologen gefragt, sondern auch Arbeitgeber.
"Fast in ganz Europa sind psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz als Gesundheitsrisiko anerkannt, nur in Deutschland nicht", moniert der Psychiater und verweist auf Statistiken der Krankenkassen. Laut AOK hat die Überlastung im Job im vergangenen Jahr bei knapp 100.000 Beschäftigten zu 1,8 Millionen Fehltagen geführt. Berger fordert Therapeuten, Betriebsärzte und Gewerkschaften auf, bei Unternehmen Druck zu machen: "Arbeitgeber sind auch für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter verantwortlich."
Beate Schneider zumindest ist auf Verständnis gestoßen. "Meine Kollegen haben mit großer Anteilnahme reagiert", erzählt sie. Eine Einzel- und Paartherapie half ihr, Job, Ehe und Familie wieder in Einklang zu bringen. "Es war gar kein Problem, wenn ich die Dienstpläne für meine Therapie ändern musste."
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