Beitrag Psychologie Heute

04.08.2014 -

(Ursula Nuber) Zeit ist ein wertvolles Gut. Wir haben permanent zu wenig davon. Weshalb wir alles unternehmen, um möglichst viel in den Tag hineinzupacken. Am Ende, so hoffen wir, bleibt dann noch etwas Zeit für uns selbst. Für die wohlverdiente Erholung. Die Work-Life-Balance muss schließlich stimmen. Doch leider tut sie das immer weniger.


Wie der Stressreport Deutschland 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits-medizin zeigt, sind die Krankheitstage aufgrund des Burnoutsyndroms innerhalb von acht Jahren um das 18-Fache gestiegen. Das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn die Menschen, die sich nicht krankschreiben lassen, sich aber tagtäglich energielos, erschöpft, müde und überfordert fühlen, werden nicht erfasst. Die Gründe für die um sich greifende Mattigkeit sind vielfältig und klar belegt: Multitasking, Termin- und Leistungsdruck, ständig derselbe Trott, zu wenig Pausen. Die Erschöpfung ist allgegenwärtig, fast jeder kennt sie.


Gastbeitrag aus Psychologie heute Heft 8/2014

"Wer ´Erschöpfung` sagt, erhält sogleich ein Echo, es bedarf keiner weiteren Erklärung, jeder weiß offenbar sofort, was gemeint ist, jeder kann eigene Erfahrungen und Erlebnisse einbringen. Die Betroffenheit ist allgemein, denn erschöpft ist irgendwie jeder oder doch zumindest ermüdet und in der Krise", schreibt Wolfgang Martynkewicz in seinem Buch Das Zeitalter der Erschöpfung (Aufbau-Verlag, Berlin 2013).

Wochenende und Urlaubszeiten gelten den Erschöpften als rettende Inseln. Dann endlich kann man loslassen, entspannen, Kraft schöpfen. Manchmal gelingt das auch. Aber doch eher selten. Wahrscheinlicher als die Erholung ist die Enttäuschung. Die Batterie, kaum aufgeladen, ist schnell wieder leer. Das liegt zum einen an dem, was die meisten Menschen zu ihrer Erholung tun. Und es liegt vor allem daran, dass sich Arbeitszeit und Freizeit wie zwei feindliche Blöcke gegenüberstehen. Entweder oder. Beides geht nicht. Oder doch?

Erschöpfung signalisiert: Eine Pause wäre angebracht. In der Regel kommt dieses Signal ungelegen, die meisten Menschen ignorieren es und hören nicht die Botschaft, "die zum Nicht-Tun inspiriert", meint Byung-Chul Han, Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin, in seinem Buch Müdigkeitsgesellschaft (Matthes Seitz, Berlin 2010). Das "Nicht-Tun" wird verschoben, auf freie Zeiten vertagt, was nicht bedeutet, dass dann – endlich – die Hände in den Schoß gelegt werden. Es wird nur etwas anderes getan.

"Die meisten Menschen versuchen in ihren hektischen, überbordenden Alltag zwischen die normalen Geschäftstermine noch zusätzliche Verpflichtungen wie Sport oder Geselligkeit einzubauen, denen sie dann hinterherhetzen müssen, weil sie den Überblick verlieren und angesichts ihres übervollen Kalenders in Stress geraten", stellt der Literatur- und Medienwissenschaftler Falko Löffler fest.

Soll die ganz normale Erschöpfung nicht zum totalen Ausbrennen führen, braucht es die ganz unspektakulären, aber regelmäßigen Zeiten des Nicht-Tuns. Selbst Sisyphus hatte, wenn der Fels mal wieder nach unten gerollt war, beim Abstieg vom Berg ausreichend Muße zum Nachdenken, zum Kraftschöpfen, zum Nichtstun. Solche "Vom-Bergheruntergehen-Phasen" existieren auch im noch so hektischen modernen Alltag. Man muss sie nur wahrnehmen. Da gibt es zum Beispiel die Zeitlöcher zwischen den Tätigkeiten. Nutzen wir sie, können wir uns einen regelrechten "Pausenwohlstand" anlegen, wie der Zeitforscher Karl-Heinz A. Geißler es nennt. Dazu gehört die kurze Wartezeit an der roten Ampel oder in der langen Schlange an der Supermarktkasse, dazu gehört auch ein Wochenende ohne Termine, dazu gehört das scheinbar untätige Stillsitzen und Aus-dem-Fenster-Schauen.

Eine ganz ungewöhnliche Form des Nicht-Tuns schlägt Falko Löffler in seinem Buch Bin ich blöd und fahr in Urlaub? Zuhausebleiben ist der beste Trip (Goldmann, München 2014) vor. Seine Idee klingt in unseren Ohren, die wir ja Reiseweltmeister sind, skurril: Statt in Urlaub zu fahren, so Löffler, sollen wir Stubenhocker werden und eine "Liebesbeziehung mit unserem Sofa" beginnen. Was zunächst nach Verweigerungshaltung und ungesundem Rückzug klingt, hat bei näherem Hinsehen seinen Reiz. Aus eigener Erfahrung weiß wohl jeder, dass stimmt, was der Autor schreibt: "Reisen und die andauernde Jagd nach Wellness kann ziemlich erschöpfend sein."

Zudem hält Löffler es überhaupt nicht für gesichert, dass der Urlaub das bringt, was man sich von ihm verspricht: Erholung. Die ist allenfalls kurzfristig. Kommt man danach wieder nach Hause, stellt man fest: "Alles beim Alten. Sie haben immer noch den gleichen Beruf, die gleichen Nachbarn, die gleichen Lebensumstände. Was Sie vor dem Urlaub genervt hat, nervt Sie immer noch." Für Falko Löffler gibt es nur eine radikale Konsequenz: "Werden Sie Stubenhocker." Das hat Vorteile: "Sie brauchen nicht ans andere Ende der Welt jetten, um die Seele baumeln zu lassen", das geht auch zu Hause. Und zu Hause kann man sich darum kümmern, sein Leben in den Griff zu bekommen, "anstatt davor zu fliehen".

Auch wenn dieser Vorschlag wohl nicht für jeden attraktiv ist – die Idee des "Stubenhockens" hat ihren Charme. Sie bringt gut zum Ausdruck, wie wichtig das "Nicht-Tun" für die Erholung ist. Die kleine Anleitung des Stubenhockens von Falko Löffler hat durchaus Verführungspotenzial: "Setzen Sie sich einfach hin. Ganz still. Schließen Sie die Augen. Sie haben einen leeren Kalender und keinerlei Verpflichtungen. Niemand verlangt Ihre Anwesenheit. Nichts muss erledigt werden. Sie leben in dem Moment und horchen in sich hinein, wonach Ihnen der Sinn steht. Und Sie wundern sich, warum andere so verzweifelt ihr Le-ben entschleunigen wollen und es nicht hinbekommen – für Sie das Leichteste, was es gibt."


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