22.07.2015, 15:12 | Wissenschaft | Autor: idw | Jetzt kommentieren
Sehr geehrte Damen und Herren,
14,5 Prozent der Menschen in Deutschland zwischen 18 und 64 Jahren sind funktionale Analphabeten und können einfache Wörter, Sätze oder Texte nicht oder kaum lesen und nur schlecht schreiben.
Die Bamberger Psychologen Dr. Jascha Rüsseler, Professor für Allgemeine Psychologie, und seine Mitarbeiterin Dr. Melanie Boltzmann forschten zu den Ursachen. Sie konnten erstmals feststellen, dass funktionaler Analphabetismus nicht nur soziale, sondern auch neurobiologische Ursachen hat und entwickelten ein Programm, das helfen kann.
Wir freuen uns über Veröffentlichungen!
Mit den besten Grüßen,
Kathrin Wimmer
14,5 Prozent der Menschen in Deutschland zwischen 18 und 64 Jahren können einfache Wörter, Sätze oder Texte nicht oder kaum lesen und nur schlecht schreiben. Der Fachbegriff hierfür lautet „funktionaler Analphabetismus“. Tätigkeiten des alltäglichen Lebens, wie die Tabelle mit den Abfahrt- und Ankunftszeiten am Bahnhof zu studieren, stellen für funktionale Analphabeten eine Herausforderung dar. Scham und Leidensdruck sind groß.
Die Bamberger Psychologen Dr. Jascha Rüsseler, Professor für Allgemeine Psychologie, und seine Mitarbeiterin Dr. Melanie Boltzmann forschten zu den Ursachen. Sie konnten erstmals feststellen, dass funktionaler Analphabetismus nicht nur soziale, sondern auch neurobiologische Ursachen hat und entwickelten mit AlphaPlus und AlphaPlus Job ein Programm, das helfen kann.
Mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) und Elektroenzephalografie (EEG) untersuchten Rüsseler und sein Team, welche neuronalen Netzwerke des Gehirns am Leseprozess beteiligt sind. „Wir konnten messen, dass die Nervenzellen, die für die auditive Wahrnehmung zuständig sind, bei funktionalen Analphabeten schlechter ausgebildet sind als bei Erwachsenen mit normalen Lesefähigkeiten“, so Rüsseler. „Erstere können akustische Reize, die oft nur Millisekunden dauern, nicht unterscheiden.“ Die Folge: Ähnlich klingende Laute wie „ba“, „pa“, „ta“ und „da“ sind für funktionale Analphabeten kaum zu erkennen. Die Fähigkeit, solche Laute zu unterscheiden, ist aber Grundvoraussetzung für eine gut ausgebildete Lese- und Schreibkompetenz.
AlphaPlus und AlphaPlus Job: Trainingsprogramme für Erwachsene
Auf Basis dieser Erkenntnisse erstellten Rüsseler und sein Team zwei Programme, deren Nutzung sie wissenschaftlich begleiteten: AlphaPlus und AlphaPlus Job. AlphaPlus richtet sich speziell an Langzeitarbeitslose, die aufgrund ihres funktionalen Analphabetismus als berufsunfähig gelten. AlphaPlus Job ist gezielt auf die Bedürfnisse berufstätiger Lernerinnen und Lerner abgestimmt und enthält zum Beispiel Wortschatzübungen, die in bestimmten Berufsgruppen gehäuft vorkommen.
Eine Sitzung von AlphaPlus oder AlphaPlus Job baut auf technische Programme auf, die von den Bamberger Psychologen mitentwickelt wurden. Eine Sitzung beginnt mit dem Audiotrainer, einem Gerät, das die Wahrnehmung optischer und akustischer Reize und die Unterscheidung von ähnlich klingenden Lauten wie „ba“ und „pa“ schulen soll. Mit dem Computerprogramm Orthofix sollen Lese-, Schreibkompetenz und der Wortschatz ausgebaut werden. Der Lateraltrainer, der die Zusammenarbeit beider Gehirnhälften verbessern soll, sowie eine fünfbändige Handbuchreihe ergänzen die Lernmaterialien.
Was Hänschen nicht lernt…
…lernt Hans nimmermehr? Dieses Sprichwort ist zum Glück in Sachen Lesen und Schreiben nicht richtig. Die Bamberger Psychologen zeigten: Nach dem Trainingsprogramm konnte der Bereich im Gehirn, der am schnellen und automatisierten Erkennen von Wörtern beteiligt ist, deutlich stärker aktiviert werden als zuvor, die Lese- und Schreibfähigkeiten der Teilnehmenden hatten sich nach Abschluss des Kurses um eine Klassenstufe verbessert. „Diese Leistungssteigerung mag sich erst einmal klein anhören, ist aber für das erwachsene Gehirn, das das Lesen und Schreiben neu erlernt, eine enorme Leistung“, erläutern Jascha Rüsseler und Melanie Boltzmann.
Weitere Informationen und Bilder unter:
www.uni-bamberg.de/kommunikation/news/artikel/alphaplus_job/
Ansprechpartner für Rückfragen
Prof. Dr. Jascha Rüsseler
Professur für Allgemeine Psychologie
Tel.: +49 (0) 951 / 863 1991
jascha.ruesseler@uni-bamberg.de
Dr. Melanie Boltzmann
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Allgemeine Psychologie
Tel.: +49 (0) 951 / 863 2046
melanie.boltzmann@uni-bamberg.de
Weitere Informationen:
- http://www.uni-bamberg.de/kommunikation/news/artikel/alphaplus_job/
Quelle: idw