Auf der Ölspur

Hallo Leute! Jede Menge Angst, Spekulation, Psychologie - die Märkte sind voll bekloppt und die Experten völlig überfordert. Die einen sammeln Argumente für globale Rezession und eine neue Bankenkrise, die anderen tragen Gründe für eine Übertreibung des Börsen-Crashs zusammen. Nee, ich nehme heute mal keine Partei, sondern weise nur auf das Phänomen Eigendynamik und dazu den ollen Spruch „Die Baisse nährt die Baisse“ hin (gibt’s meistens für die andere Richtung, also „Die Hausse nährt die Hausse“). Aber: Dass die Aktienkurse auf der Ölspur abrutschen, will ich nicht nachvollziehen. Kurios, dass mir dazu gestern fast zeitgleich zwei kritische Betrachtungen übermittelt wurden, von einem bekannten Schweizer Haus und einer französischen Fondsboutique. Wirklich interessant, deshalb will ich sie Euch nicht vorenthalten.

Die schweizerischen Strategen behaupten: „Spekulationen zum Ölpreis sind vollkommen irrelevant.“ Es gehört zur Natur der Kapitalmärkte, bei den Preisen für Vermögenswerte sowohl nach oben als auch nach unten zu übertreiben. Gleiches gilt für das Sentiment. So war es beispielsweise noch im Jahr 2008 der Konsens, dass der Ölpreis auf 200 Dollar je Barrel oder sogar noch darüber hinaus steigen wird. Nahezu jeden Tag überboten sich immer neue Experten mit immer höheren Preiszielen. Heute hat der Ende 2014 einsetzende Kollaps des Ölpreises das genaue Gegenteil bewirkt und erste Doomsday-Apostel prognostizieren bereits, dass sich der Preis nie mehr über das Niveau von 40 Dollar je Barrel erholen wird. Einfach schockierend, wie wenig wir lernen. Oder wie es einstmals der spanische Philosoph George Santayana formulierte: „Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen“.

Ein gutes Beispiel dafür ist der „Economist“, der im März 1999 „Drowning in oil“ titelte, wobei der Ölpreis in den folgenden Jahren jedoch deutlich zulegte. Als ob es damit noch nicht genug gewesen wäre, prognostizierte dieselbe Zeitung im Oktober 2003 auf der Titelseite „The end of the Oil Age“; der Ölpreis stieg dessen ungeachtet aber weiter. Unglücklicherweise hat der „Economist“ noch weitere Vorhersagen gemacht, die man im Lauf der Jahre ähnlich beurteilen wird, wie jene aus 1999 und 2003. Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dass man selbst „sophistizierte“ Investoren noch immer an eine einfache Wahrheit erinnern muss - nämlich den zyklischen Charakter der Rohstoffe, der trotz der dominierenden Rolle Chinas Bestand hat. Auf einen einfachen Nenner gebracht, verläuft dieser Zyklus so: Aufgrund steigender Preise erhöhen die Anbieter ihre Produktion, was mit der Zeit zu einer sich abschwächenden Nachfrage und einer Überversorgung führt. Daraus resultieren dann sinkende Preise, die die Anbieter dazu bringen, ihre Produktion zurückzufahren. Die folgende Unterversorgung lässt den Zyklus dann wieder von vorne beginnen.

Vor diesem Hintergrund können wir zuversichtlich konstatieren, dass sich der Abschwung bei den Rohstoffen, und besonders beim Öl, einem Boden nähert. Spekulationen, wie weit der Ölpreis zuvor noch fallen kann, sind vollkommen irrelevant, da die Märkte gegenwärtig nicht mehr von fundamentalen Faktoren, sondern den extrem hohen Short-Positionen in den Futures-Märkten getrieben werden. Schon Gerüchte können daher leicht heftige Eindeckungs-Rallys auslösen. Soweit die Schweizer.

Das Motto des französischen Fondsmanagers: „Einfach verrückt - Neuartige Kopplung von Ölpreis und Aktienkursen zeigt Fehleinschätzung der Märkte.“ Vor nicht allzu langer Zeit, als der Barrelpreis für Erdöl bei 140 US-Dollar lag, kostete ein Liter Öl so viel wie eine Flasche des französischen Mineralwassers Perrier. Aufgrund des Preissturzes bei Öl auf unter 30 US-Dollar in Verbindung mit einem stabil gebliebenen Mineralwasserpreis haben wir heute eine überraschende Situation: Der Sprudel ist jetzt fünfmal teurer als Öl. Diese amüsante Feststellung, die von einem großen Brokerhaus veröffentlicht wurde, dürfte die Arbitrageure nicht weiter stören, denn der Liter Perrier ist nicht an der Börse notiert. Auffälliger ist hingegen - nicht nur für die Arbitrageure, sondern für die Finanzwelt insgesamt - die in letzter Zeit zu beobachtende Korrelation zwischen den Aktienkursen und dem Rohölpreis. Am 20. Januar beispielsweise, beschleunigte sich der Rückgang der Terminkontrakte auf Erdöl und infolgedessen büßte der Dow Jones mehr als 4 Prozent ein. Als der Ölpreis abends wieder anzog, erholten sich die Aktienkurse unmittelbar danach. Diese in ihrem Ausmaß außergewöhnliche Börsensitzung veranschaulicht ein neues Phänomen: Seit Jahresbeginn ist der Ölpreis zur erklärenden Variablen der Aktienkurse geworden.

Auf lange Sicht ist die Korrelation zwischen Ölpreis und Aktienkursen allerdings sehr gering. Warum also diese neuartige Kopplung? Und vor allem: Warum wird der Ölpreisrückgang, der ursprünglich als unterstützender Faktor für den Konsum und somit für das Wachstum galt, nunmehr als ein negativer Faktor für unsere Aktienmärkte gewertet? Es ist nachvollziehbar, dass die Heftigkeit des Ölpreisrückgangs sehr negative Auswirkungen auf die Ölindustrie und die Erzeugerländer hat. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt einen jährlichen Umsatzrückgang von 2.400 Milliarden US-Dollar für Erdölproduzenten und von 400 Milliarden US-Dollar für Kohleproduzenten. Der amerikanische Energiesektor steht unter Druck: 73 Prozent der US-Unternehmen haben mittlerweile ein Rating auf Junk-Bond-Niveau. Das Schieferöl-Abenteuer, in das so viel Hoffnung gesetzt wurde, wird zu einem schmerzlichen Verlustgeschäft: 60 Prozent der Kapazitäten wurden innerhalb eines Jahres geschlossen. Um bei schwindelerregenden Zahlen zu bleiben: Die Marktkapitalisierung der zehn größten weltweit tätigen Unternehmen des Erdöl- und Erdgassektors ist im Vergleich zu den Kursen von Ende 2014 um 750 Milliarden zurückgegangen.

Doch das Leid der Produzenten ist die Freude der Importeure. Für China, das täglich 7,5 Millionen Barrel verbraucht, entspricht ein Ölpreisrückgang um 10 Prozent einem zusätzlichen Wachstum von 0,3 Prozent. Gleiches gilt für Indien (0,5 Prozent) oder Indonesien (0,3 Prozent). Schließlich räumen selbst die pessimistischsten Ökonomen ein, dass der Nettoeffekt billigen Öls insgesamt positiv für das Wachstum der Weltwirtschaft ist, da die Nutznießer solcher Rahmenbedingungen zahlreicher sind als die Leidtragenden.

Was also sehen die Märkte, was die Wirtschaftsexperten übersehen haben? In Wirklichkeit sehen sie nichts; sie erinnern sich mit Sorge daran, dass im Jahr 2008 nur ein einziger Sektor (der Immobiliensektor) genügte, um den Großbanken die Bilanzen zu verhageln und das weltweite Wachstum aus dem Takt zu bringen. Die Verschuldung des Erdölsektors und die bevorstehenden Ausfälle wecken Erinnerungen an die Situation vor der Subprime-Krise. Hinter den stillgelegten Bohrtürmen könnte die Rezession lauern.

Mit dieser Einschätzung begehen die Märkte allerdings zwei Fehler. Der erste ist ein Maßstabsfehler: Auf Immobilienanlagen entfielen im Jahr 2007 etwa 6,5 Prozent des amerikanischen BIP, während Anlagen im Erdölsektor heute nur 0,5 Prozent ausmachen. Zudem entsprach die Verschuldung in Zusammenhang mit dem Immobiliensektor damals 70 Prozent des BIP, während die des Erdölsektors heute nur 3 Prozent ausmacht. Die zweite Annahme ist eine Fehleinschätzung des Wirkungskreises. Die Subprime-Krise war auch deswegen so verheerend, weil die schlechten Schulden sich über strukturierte Produkte in fast allen Händen fanden. Beim Erdöl gibt es nichts Vergleichbares. Die Ansteckungsgefahr ist hier unendlich geringer.

Fazit des Strategen: „Die Märkte haben gute Gründe, nervös zu sein. Aber wenn sich ihr Rückgang an dem des Ölpreises ausrichtet und der Preis von Brent-Rohöl ihr Leit-Stern wird, werden wir Chancen nutzen können, indem wir uns daran erinnern, dass die Märkte bisweilen einfach verrückt sind.“

Macht was draus, meine Freunde, oder auch nicht. Ich freue mich jedenfalls auf die nächste Tankfüllung für mein SUV und die nächste Bestellung für meine nicht mehr jugendliche Ölheizung.

Post an den Börsenfuchs: boersenfuchs@onvista.de

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