„Um Angstlust empfinden zu können, braucht man ein grundsätzliches Gefühl der Sicherheit“, erklärt Professorin Eva Busch, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin am Winnicott-Institut in Hannover. „Die vermeintliche Gefahr lässt einen dann nur schaudern, weil man im Grunde weiß, dass es gut ausgehen wird.“
Krimis und Gruselgeschichten folgen meist einem Spannungsbogen, der mit der Auflösung der Angst endet. In aller Regel siegt das Gute, und der Held überlebt, während der Bösewicht ein schlimmes Ende findet. Nach dem Schaudern bleibt das gute Gefühl, dass die Welt in Ordnung ist.
Gruseln und Spannung bescheren uns aber auch einen Hormonrausch. Bei Gefahr schüttet der Organismus vermehrt die Stresshormone Adrenalin und Kortisol aus, die uns auf Flucht oder Kampf vorbereiten und uns wach und aufmerksam machen. Auf den Höhepunkt der Spannung folgt häufig die verdiente Belohnung: Endorphine überschwemmen das Gehirn, lösen Glücksgefühle aus und hinterlassen nach ihrem Abflauen wohlige Entspannung.
Risiko in einer sicheren Welt
Einen ähnlichen Kick erleben Menschen in der Achterbahn oder beim Bungee-Springen. Es erfordert Mut, sich der extremen Erfahrung auszusetzen. Gleichzeitig kann man sich darauf verlassen, dass die Geräte sicher sind und keine wirkliche Gefahr besteht. „Hinterher fühlt man sich als Held“, sagt der Münchner Diplompsychologe Dr. Stephan Lermer. „Wir leben heute in einer sicheren Welt mit wenigen realen Gefahren. Gerade junge Männer aber suchen das Risiko, um zu rivalisieren und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.“
Angst gehört zum Leben. Sie lässt uns Gefahren erkennen und darauf reagieren und kann so das Überleben sichern. Im Spiel mit der Angst lernen wir, mit der Bedrohung umzugehen. Schon kleine Kinder entdecken den Nervenkitzel und genießen gruselige Momente. „Sich gruseln erfordert die Fähigkeit, zwischen sich und anderen zu unterscheiden. Sie entwickelt sich in den ersten zwei Lebensjahren“, sagt Busch. „Säuglinge reagieren dagegen ängstlich und müssen beruhigt werden.“
Auch die Versteckspiele der Kleinsten enthalten die Mischung aus Furcht und Wonne: die Angst, der andere könnte tatsächlich verschwinden, und die Gewissheit, dass er gleich wieder auftauchen wird. Vorschulkindern macht es Spaß, selbst in die Rolle von Monstern und Gespenstern zu schlüpfen und sich gegenseitig zu erschrecken.
Kinder stellen sich ihrer Angst
Im Spiel stellen sich Kinder ihren Ängsten und können erleben, dass sie mutig sind. Ähnliches passiert, wenn sie gebannt grausamen Märchen lauschen. Entkommt der Held der Gefahr, kann diese Erfahrung ein Muster für die kleinen Zuhörer sein. „Kinder lernen, dass sie mit Ängsten umgehen können“, erläutert Psychotherapeutin Busch.
Wie viel Spannung Kinder gruselig finden und wann Panik sie erfasst, ist alters- und entwicklungsabhängig. Vor dem Fernseher sollten die Jüngsten nicht mit Räubern und Gespenstern allein gelassen werden. Dann ist es gut, wenn ein unterstützender Erwachsener bei ihnen ist.
Und wie sieht es bei den Erwachsenen selbst aus? Auch für sie gilt es, Grenzen ernst zu nehmen und sich auf die eigene Erfahrung zu verlassen, sagt Lermer. Denn während der eine sich nach einem Krimi kaum mehr aus dem Sessel traut oder nachts von Albträumen geplagt wird, geht der andere völlig entspannt zu Bett. Lermer rät: „Man sollte sich fragen, ob man nach einem Krimi gut geschlafen hat. Wenn nicht, meidet man solche Filme besser.“