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Ulrike Nasse-Meyfarth
Der olympische Spitzensport durchlebt schwere Zeiten. Fernsehtechnisch zumindest. Immer weniger Übertragungszeiten. Das Fernsehen fordert, Meisterschaften in olympischen Disziplinen zusammenzulegen. Können Sie sich das vorstellen für die Königsdisziplin Leichtathletik und Schwimmen?
Ulrike Nasse-Meyfarth: Warum eigentlich nicht? Olympische Verbände müssen sich Gedanken machen, wie man Interessen koordiniert. Sportverbände müssen miteinander reden, ich fürchte nur, dass das mit der klassischen Funktionärsriege schwierig wird. Die Wettkampfkalender müssen ja nicht nur national, sondern auch international koordiniert werden.
Wovor haben Funktionäre Angst?
Nasse-Meyfarth: Funktionäre haben Angst vor Kompromissen, weil das kompliziert ist und die ganze Welt mitspielen muss. Das ist in der Leichtathletik, im Schwimmen, im Turnen schwer, nicht so schwierig im Wintersport, wo die Sportarten kleiner ausgelegt sind. Weniger Konkurrenz. Das macht die Sache leichter.
Aber unmöglich ist es auch für Sommersportarten nicht.
Nasse-Meyfarth: Nein. Es wäre gut, endlich anzufangen. Und sich einen Kopf darüber zu machen. Bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Finden Sie die Entwicklung dramatisch? Nur noch Fußball im Fernsehen?
Nasse-Meyfarth: Ich habe den Eindruck, dass mit ungleichen Maßstäben gemessen wird. Der Fußball im Fernsehen fängt in der dritten Liga an. Will das wirklich einer sehen? Ich habe immer das Gefühl, das wird den Menschen vorgesetzt, unabhängig davon, ob sie das wollen oder nicht.
Welche Rolle hat das Fernsehen in Ihrer Karriere gespielt?
Nasse-Meyfarth: Da gibt es große Unterschiede in meiner Laufbahn. 1972 in München musste ich nach der Goldmedaille drei Stationen abklappern, ARD, ZDF und das DDR-Fernsehen. Und dann kamen noch ein paar Rundfunkleute. Das hat sich geändert, heute wollen die Menschen mehr von dir. Ob das für den Sportler etwas bringt, erschließt sich mir nicht.
Aber der Sport braucht Medienpräsenz.
Nasse-Meyfarth: Natürlich. Und konkret bezogen auf den Sport, auf die Leistung gefällt sie mir, das finde ich okay. Wenn die Journalisten über das entsprechende Hintergrundwissen verfügen, alles kein Problem. Aber ich persönlich muss nicht auf den Boulevard, das war nicht meins. Und das ist auch nicht meins. Wobei es sicher Athletinnen gibt, die sich über den Boulevard vermarkten.
Tun sich Athleten heute leichter mit dem Boulevard?
Nasse-Meyfarth: Nicht wesentlich. Die meisten sind eher zurückhaltend. Vorsichtig, auf die sportliche Leistung fixiert. Nicht auf das Privatleben. Aber es gibt Ausnahmen.
Haben Sie Ihren Kindern oft vom olympischen Gold erzählt.
Nasse-Meyfarth: Das kam zwangsläufig. Natürlich sind meine Kinder immer auf ihre Mutter angesprochen worden. Man musste sich erklären.
Ist eine berühmte Mutter ein Problem?
Nasse-Meyfarth: Aktuell ist das ja kein Problem mehr für mich. Meine Berühmtheit stammt aus einer anderen Zeit. Aber meine ältere Tochter wollte damals nie fotografiert werden, ich kenne solche Situationen. Das war manchmal nicht einfach, die Grenze zu erkennen.
Ist das heute noch denkbar, zwölf Jahre zwischen olympischem Gold in München und Los Angeles?
Nasse-Meyfarth: Das wird sich so schnell nicht mehr ergeben, weil man heute mit 16 Jahren nicht mal eben die Weltelite schlagen kann. Wie ich damals in München. Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit den Fosbury-Flop gelernt zu haben. Damit war ich der zehn Jahre älteren Konkurrenz voraus.
Aber das zweite Gold war schöner?
Nasse-Meyfarth: Das kann man so nicht sagen. Das Gold in Los Angeles habe ich mir bewusst erarbeitet. Der erste ist mir in den Schoß gefallen. Genossen habe ich beide. Die Zeit nach dem ersten Gold war sicher schwierig. Und diese Phase ist von der deutschen Öffentlichkeit durchgehend begleitet worden. Das war nicht einfach, ganz gewiss nicht. Aber ein Sportler lernt aus Niederlagen.
Würden Sie die Zeit nach München als Trauma bezeichnen?
Nasse-Meyfarth: Ja, das erkennt man aber erst Jahre später, ich war sicher ein wenig traumatisiert nach dem ersten Gold. Ich weiß nicht, wie Psychologen das beurteilen. Meine Unbefangenheit war weg, meine Kindheit. Das war für einen Teenager keine einfache Zeit, entweder du überstehst sie oder du hörst auf.
Welche Rolle spielt in so einer Phase ein Trainer?
Nasse-Meyfarth: Mein Trainer damals war der Situation selbst nicht gewachsen. Ich bin dann zu Gerd Osenberg gewechselt. Osenberg hat mit mir ganz von vorne angefangen. Das war eine wirklich schöne Zeit. Eine bewusste Zeit. Eine Zeit mit vielen sportlichen Experimenten. Der Erfolg gab mir recht.
Sind Sie Botschafterin der Sportstiftung geworden, weil Sie Ihre Erfahrungen aktuellen Athleten ersparen wollen?
Nasse-Meyfarth: Mein Engagement in der Sportstiftung hat mit den eigenen Erfahrungen, mit der eigenen Karriere zu tun. Ganz sicher. Wir alle sind mehr oder weniger gebrannte Kinder, die in ihrer sportlichen Karriere Probleme hatten. Dass es Phasen gab, wo es weder im Sport noch in der Ausbildung, im Studium, lief. Dass man im Sport mit vielen Unwägbarkeiten zu kämpfen hat. Die die Öffentlichkeit nicht sieht, wenn man nach olympischem Gold gefeiert und in den Mittelpunkt gestellt wird. Wir haben heute nicht mehr so viele potenzielle Hochleistungssportler, die müssen wir gut behandeln. Wenn wir weiter erfolgreichen olympischen Sport machen wollen. Wir Botschafter wollen ein Umfeld schaffen, in dem sich Spitzensportler entwickeln können. Sportlich wie beruflich.
Was machen Unternehmen denn für Erfahrungen mit Spitzensportlern?
Nasse-Meyfarth: Viele Unternehmen haben absolut positive Erfahrungen mit Spitzensportlern gemacht. Das muss verankert werden. Und wichtig ist dabei, dass es in Übereinstimmung mit den Trainern passieren muss. Ohne Trainer funktioniert das nicht. Trainer müssen ihre Athleten in beiden Bereichen beistehen, Spitzensport und Ausbildung. Wir nennen das Zwillingskarriere. Spitzensportler sollen auch in ihrem Beruf erfolgreich sein.
Hat das nicht auch mit dem gesellschaftlichen Stellenwert des Spitzensports zu tun?
Nasse-Meyfarth: In meiner Schulzeit empfand ich mich oft so, als würde die Öffentlichkeit mich als Randfigur wahrnehmen. Intellektuell nichts drauf, eine Sportlerin eben. An der Schule hatte ich kaum Kontakte, ich habe mich ganz auf den Sport konzentriert, dort hatte ich meine Kontakte, das war meine Welt. Heute ist es wichtig, dass an Eliteschulen des Sports Pädagogen tätig sind, die wissen, wie Spitzensport funktioniert. Dass Sport den gleichen Stellenwert besitzt wie Mathematik oder Philosophie oder Physik.
Aber der gesellschaftliche Stellenwert des Sports hat sich noch immer nicht überall durchgesetzt. Auch 2011 noch nicht.
Nasse-Meyfarth: Nein. Das sieht man an Leistungssportlern, die bei ihren Professoren darum betteln müssen, Rücksicht auf den Spitzensport zu nehmen. Die einen machen mit, die anderen nicht.
Was machen Sportbotschafterinnen wie Sie?
Nasse-Meyfarth: Wir machen die Türen zu den Vorständen auf. Das hat bisher immer gut geklappt, wir rennen offene Türen ein. Wir kennen unsere Athleten, wir begleiten sie, wir sensibilisieren. Athleten müssen sich fokussieren auf den Sport, der ihnen nach dem Sport aber nichts bringt. Zumindest nicht automatisch. 80 Prozent unserer Athleten haben zumindest Fachabitur, können studieren, was von Vorteil ist. Ehemalige Athleten fungieren als unsere Mentoren in den Unternehmen und tun das mit Begeisterung.
Was haben Spitzensportler, was andere nicht haben?
Nasse-Meyfarth: Leistungssportler können ihr Zeitmanagement optimieren, sie sind teamfähig, ehrgeizig, bescheiden, demütig, aber sie besitzen die Fähigkeit, im richtigen Moment zuzuschlagen. Das sind Eigenschaften, die nur ein Sportler besitzt. Sehen Sie, ein Sportler muss doch immer mit dem Schlimmsten rechnen, aber er hat immer auch das ganz Große vor sich. Das haben Leistungssportler gelernt, das haben sie allen anderen voraus, das lernen andere niemals. Das ist unser Potenzial. Und das merken immer mehr Unternehmen. Und das ist gut so.
Welchen Wert ein Olympiasieg?
Nasse-Meyfarth: Ich glaube, einen sehr hohen. Olympisches Gold ist die Belohnung für einen langen entbehrungsreichen Weg. Ein Olympiasieg ist gesellschaftlich der denkbar größte Sieg. Aber beruflich ist es nur ein Startvorteil, niemals eine Erfolgsgarantie. Dass sich das ändert, daran arbeiten wir.
Von Christoph Fischer