20 Jahre seit Beginn des Bosnien-Kriegs : Zu stark, um ein Opfer zu sein




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Bosnische Flüchtlinge in Deutschland

"Meine Oma hat sich immer wieder unter dem Tisch versteckt - so als wäre man dort sicher vor Bomben und Schüssen", erinnert sich Aida Alisic. "Ich habe viel mehr vom Krieg mitbekommen, als meine Eltern gedacht hatten: vor allem ein allgegenwärtiges Gefühl der Angst." Serbische Nachbarn, die Aidas bosnisch-muslimische Familie noch kurz vor dem Bürgerkrieg besucht hatten, mieden plötzlich jeden Kontakt. "Einige haben sogar ihren Müll auf unseren Hof geworfen", erzählt die heute 25-jährige Psychologiestudentin. Und ihr Vater musste nachts barfuß aus dem Fenster klettern und sich draußen verstecken, um nicht in die bosnisch-serbische Armee eingezogen zu werden.

Der Bürgerkrieg begann am 6. April 1992, nachdem die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Bosnien und Herzegowina ihre Unabhängigkeit erklärte und auch von den westlichen Ländern als Staat anerkannt wurde. Diesen unabhängigen Staat wünschten sich vor allem die Bosniaken - die ethnische Gruppe, zu der auch Aidas Familie gehört. Die bosnischen Serben waren gegen die Unabhängigkeit. Die meisten Kroaten aus der westlichen Herzegowina wollten sich dagegen dem 1991 gegründeten Staat Kroatien anschließen.

"Wie im Paradies": Die Gastfamilie in Köln


Im November 1992 sind Aida, ihre Eltern, ihr Bruder und die Großmutter aus Bosnien geflohen. "Ich habe am letzten Tag in der alten Heimat die ganze Zeit geweint, bevor wir in den Flüchtlingsbus nach Kroatien gestiegen sind", erinnert sich Aida. "Irgendwie war die Angst da, zurückzubleiben". Den November hat die Familie in einem provisorischen Flüchtlingslager in der Nähe der kroatischen Hauptstadt Zagreb verbracht: "Unser Lebens- und Schlafraum war eine einzige blaue Matratze in einer Sporthalle. Doch für mich war das nicht so schlimm, ich habe draußen vor der Halle mit den anderen Kindern gespielt". Noch im selben Winter ging es weiter nach Deutschland. Ein Ehepaar aus Köln nahm die bosnische Familie für mehrere Monate auf. Organisiert wurden die Gastfamilien durch den deutschen Verein "Den Winter überleben", der sich für bosnischen Flüchtlinge eingesetzt hat.

"Die beiden waren Steuerberater und hatten ein Haus mit einer großen Wiese. Direkt in der Nähe war ein Spielplatz. Ich habe mich wie im Paradies gefühlt", schwärmt Aida. Die Beziehung zu den damaligen Gasteltern ist so herzlich, dass die junge Frau sie später auch auf ihren Abi-Ball mitgenommen hat - zusammen mit der eigenen Familie. "Am Anfang haben wir vor allem mit Händen und Füßen kommuniziert. In der Küche hingen überall kleine Klebezettel mit den wichtigsten deutschen und bosnischen Ausdrücken", erzählt sie. Schon bald lernte die ganze Familie Deutsch. Aidas Vater arbeitete wieder als LKW-Fahrer, wie in Bosnien vor der Flucht, die Mutter war Haushaltshilfe bei der ehemaligen Gastfamilie. Beide Kinder kamen in der Schule gut zurecht: eine Integrationsgeschichte wie aus dem Bilderbuch.

Angst vor der Abschiebung in Deutschland

"Doch als ich zwölf war, sollten wir plötzlich abgeschoben werden. Die Ausländerbehörde wollte, dass wir in einer einzigen Woche nach Bosnien zurückkehren!" erinnert sich Aida. Ihr Vater konnte immer wieder einen Aufschub beantragen - zuerst nur für eine Woche, dann für zwei Monate, nach mehreren Jahren erst erhielt die Familie die Erlaubnis, endgültig in Deutschland zu bleiben.

Der Krieg, die Angst, die vielen Jahre der existentiellen Unsicherheit in Deutschland - die meisten Menschen würden schon wegen viel geringerer Probleme ihr psychisches Gleichgewicht verlieren. Doch Aida ist zu stark, um jemals zum Opfer zu werden. "Natürlich ist es schlimm, so früh im Leben zu erfahren, dass die Welt kein sicherer Ort ist", meint sie. "Doch ich habe dadurch gelernt, alles viel mehr zu schätzen - dass wir genug zu essen und ein Dach über dem Kopf haben. Auch mein Studium bewältige ich einfach, weil es von mir und meinem Einsatz abhängt, nicht von unkontrollierbaren Fügungen des Schicksals".

Aida hilft Migrantenkindern


Ihr Einsatz war immer sehr groß: "Seit ich 14 war, habe ich neben der Schule und später der Uni viel gearbeitet. Meine Eltern unterstützen mich zwar finanziell beim Studium, aber ich möchte diese Hilfe so wenig wie möglich in Anspruch nehmen." Neben ihrem Psychologie-Studium in Köln arbeitet sie an der Düsseldorfer Uniklinik in der Abteilung für Psychosomatik als studentische Hilfskraft. Nebenbei findet sie auch genug Zeit, um sich ehrenamtlich zu engagieren: Als Mentorin einer türkischstämmigen Grundschülerin, die sie unter anderem bei den Hausaufgaben unterstützt. Die Arbeit mit Migrantenkindern - für Aida eine Herzensangelegenheit: "Ich habe es geschafft, Deutsch als Zweitsprache akzentfrei zu lernen und Abitur zu machen. So etwas ist möglich - gerade deshalb müssen wir diese Kinder mehr fördern."

Doch ihr wichtigstes Fachgebiet hat sie im Psychologiestudium gefunden. Zurzeit macht Aida eine Mediationsausbildung: Sie spezialisiert sich darauf, in Konfliktsituationen zwischen Menschen zu vermitteln.

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